Studie: Finanzmärkte sind oft Bremsklötze für Entwicklung und Wachstum
17. September 2012 | Patrick Schreiner
Leider bin ich erst jetzt auf eine schon im Juli von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich veröffentlichte Studie gestoßen, die eine nähere Betrachtung lohnt. Darin wird ein Mythos widerlegt, den die Neoliberalen seit Jahrzehnten pflegen: Der Mythos nämlich, dass der Finanzsektor ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum sei. Grund genug, den Text hier kurz vorzustellen und eine genauere Lektüre zu empfehlen.
Ausgangspunkt der Arbeit mit dem Titel "Reassessing the impact of finance on growth" ist die Feststellung, dass sich in den Wirtschaftswissenschaften der vergangenen Jahre ein Konsens herauskristallisiert habe, demzufolge die Entwicklung eines großen Finanzsektors sich positiv auf das Wachstum einer Volkswirtschaft auswirke. Dabei werde allgemein von der Annahme ausgegangen, dass ein größerer Finanzsektor nicht einfach nur ein Nebenprodukt, sondern sogar die Grundlage für Wachstum und Entwicklung sei. Genau mit dieser Annahme haben neoliberale Wissenschaften und Politik in den vergangenen Jahrzehnten die massive Deregulierung der Finanzmärkte begründet – eine Deregulierung, die ab 2007 bekanntlich zur weltweit größten Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren geführt hat.
In ihrer Studie untersuchen Stephen Cecchetti und Enisse Kharroubi auf der Basis von statistischen Daten aus 50 Industrie- und Schwellenländern drei Zusammenhänge:
- Erstens den Zusammenhang zwischen (1) dem Anteil privater Kredite am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und (2) den Wachstumsraten des BIP,
- zweitens den Zusammenhang zwischen (1) dem Anteil der im Finanzsektor Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung des Landes und (2) den BIP-Wachstumsraten sowie
- drittens den Zusammenhang zwischen (1) den Wachstumsraten des Finanzsektors und (2) den BIP-Wachstumsraten.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zwar kann ein von Jahr zu Jahr größer werdender Finanzsektor für das Wachstum einer Volkswirtschaft günstig sein. Dies gilt aber nur bis zu einer gewissen Größe des Finanzsektors – wenn diese Schwelle überschritten wird, sind dessen Auswirkungen auf das Wachstum zunehmend negativ. Außerdem darf das Größerwerden des Finanzsektors nicht zu schnell geschehen; ist die jährliche Zunahme zu umfangreich, so hat dies ebenfalls negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Politische Schlussfolgerungen drängen sich angesichts dieser Ergebnisse geradezu auf: Der Finanzsektor einer Volkswirtschaft darf nicht zu groß werden, und er darf nicht zu schnell wachsen. All jene, die jahrelang das Hohelied der Finanzmärkte und der Finanzmarkt-Deregulierung gesungen haben oder dieses gar noch immer singen, sollten sich die in der Studie vorgelegten Zahlen genau ansehen. Sie können lernen.
Quellenangabe:
- Cecchetti, Stephen/ Kharroubi, Enisse (2012): Reassessing the Impact of Finance on Growth. In: BIS Working Papers 381 (2012). <http://www.bis.org/publ/work381.pdf> (14.09.2012).
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.