FAZ und Bund der "Steuerzahler": Mit Zahlentricks gegen Steinbrück und gegen höhere Steuern
14. Oktober 2012 | Patrick Schreiner
Wer hätte gedacht, dass es einmal gute Gründe geben würde, den SPD-Kanzlerkandidaten in Schutz zu nehmen. Und doch werde ich genau das im Folgenden tun. Schließlich tritt Peer Steinbrück für eine moderate Erhöhung von Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen ein – zwar geringere, als sie sinnvoll und notwendig wären, aber immerhin. Kein Wunder, dass er mit diesen Forderungen nach Steuererhöhungen ins Visier der FAZ und des Bundes der "Steuerzahler" gerät. Deren Argumentation gegen Steinbrück aber ist hanebüchen und unseriös. - Ein Beitrag über Zahlentricks und Manipulationen.
Die FAZ hat gestern einen Artikel mit dem vielsagenden Titel "So teuer wird es mit Steinbrück" veröffentlicht, in dem sie die Steinbrückschen Steuerforderungen darstellt (soweit bekannt, viele Fragen sind ja noch offen) und die möglichen Folgen dieser Politik für verschiedene Beispiel-Haushalte skizziert. Autor ist Christian Siedenbiedel. Die Zahlen, auf die Siedenbiedel sich beruft, sind der FAZ offenbar vom Bund der "Steuerzahler" im Vorab zur Verfügung gestellt worden. Es ist mir jedenfalls nicht gelungen, sie auf dessen Homepage wiederzufinden.
Die Grundaussage des Artikels ist so einfach wie falsch: Steuererhöhungen à la Steinbrück seien abzulehnen, da sie schon Menschen mit mittleren Einkommen massiv treffen würden.
Gehört man schon zu den Reichen der Republik, wenn man als Angestellter zwischen viereinhalb und fünftausend Euro brutto im Monat verdient und außerdem Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhält? Auf jeden Fall gehört man schon zu der Gruppe der Bevölkerung, die mehr Steuern zahlen soll, wenn SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück die Bundestagswahl gewinnt – und seine Forderung nach „höheren Steuern für einige“ durchsetzt, mit der er jetzt durch die Talkshows zieht. Klare Kante, liebe Reiche: Für Peer Steinbrück fängt Reichtum früh an.
Die Zahlen, die FAZ und Bund der "Steuerzahler" dann präsentieren, sollen diese übermäßige Belastung schon mittlerer Einkommen belegen. Nehmen wir einfach einmal an, die Zahlen als solche stimmen – nachrechnen kann ich sie nicht: Der entscheidende Trick des Artikels ist, dass die Grafiken ausschließlich absolute Werte zeigen und diese mit verschiedenen Skalen/Maßstäben grafisch dargestellt werden (worauf immerhin explizit hingewiesen wird).
Um die im obigen Zitat wiedergegebene Behauptung zu untermauern, werden vier verschiedene Beispiel-Personen mit unterschiedlich hohen jährlichen Einkommen und Vermögen skizziert:
- Person 1: Einkommen 60.000 Euro, Nettovermögen 50.000 Euro, Zinseinkünfte 1500 Euro
- Person 2: Einkommen 70.000 Euro, Nettovermögen 80.000 Euro, Zinseinkünfte 1.800 Euro
- Person 3: Einkommen 100.000 Euro, Haus im Wert von 450.000 Euro, Sparkonto 100.000 Euro, Zinseinkünfte 3.000 Euro
- Person 4: Einkommen 500.000 Euro, Immobilienwert 1.500.000 Euro, Depot 200.000 Euro, Dividenden und Zinseinkünfte 6.000 Euro
Für jede dieser Personen wird nun die jeweils die zusätzliche steuerliche Belastung als Singles und als Verheiratete berechnet. Durch die Steinbrückschen Steuerpläne entfallen auf sie nach Angaben von FAZ / Bund der "Steuerzahler" folgende zusätzliche Belastungen pro Jahr:
- Person 1: Als Single 35 Euro, verheiratet 0 Euro
- Person 2: Als Single 85 Euro, verheiratet 10 Euro
- Person 3: Als Single 1.438 Euro, verheiratet 70 Euro
- Person 4: Als Single 30.239 Euro, verheiratet 25.030 Euro
Es fällt auf: Diese Beträge sind dann doch sehr unterschiedlich. Diese Unterschiede aber versteckt die FAZ in ihrer Darstellung, indem sie ihren Grafiken unterschiedliche Skalen/Maßstäbe zu Grunde legt. Für Person 1 und 2 endet die Skala bei 160 Euro, für Person 3 bei 1.600 Euro und für Person 4 bei 30.000 Euro. Zwar wird darauf im Kleingedruckten hingewiesen, doch ist der optische Eindruck eindeutig: Auch bei den mittleren Einkommen von Person 1 und 2 sind hohe Balken erkennbar. Dies suggeriert eine hohe Belastung auch bei diesen Einkommensgruppen.
Korrigiert man diese Darstellung und verwendet eine einheitliche Skala, wie es seriös wäre, so wird deutlich, wen die Steinbrückschen Steuerpläne wirklich treffen würden. Es ist vor allem Person 4 – und damit ein Mitglied jener kleinen Bevölkerungsgruppe, die über genug Einkommen und Vermögen verfügt, um finanziell deutlich mehr zum Gemeinwesen beizutragen:
Abbildung 1: Zusatzbelastung der vier Beispielpersonen durch Steinbrücksche Steuerpläne. Quelle: FAZ / Bund der "Steuerzahler", eigene Darstellung.
Nun könnte man argumentieren, dass diese absoluten Zahlen (und damit die Abbildung) wenig aussagekräftig sind, da auch eine geringfügig höhere Steuer bei entsprechend niedrigem Einkommen eine hohe Belastung sein kann. Also müsste man die zusätzliche Steuerbelastung ins Verhältnis setzen zu den jeweiligen Einkommen der vier Personen.
Genau das fehlt aber in der Darstellung der FAZ – und zwar vermutlich nicht zufällig, sondern weil auch diese Zahlen der Grundaussage des Artikels widersprechen würden. Ich habe diese fehlenden Werte im Folgenden berechnet. Sie zeigen, dass auch relativ zum jeweiligen Einkommen vor allem hohe Einkommen und große Vermögen stärker herangezogen würden; nennenswert belastet würden durch die Steinbrückschen Steuerpläne eben gerade nicht die mittleren Einkommen:
- Person 1: Als Single Zusatzbelastung von 0,058 Prozent, als Verheiratete/r Zusatzbelastung von 0 Prozent
- Person 2: Als Single Zusatzbelastung von 0,121 Prozent, als Verheiratete/r Zusatzbelastung von 0,014 Prozent
- Person 3: Als Single Zusatzbelastung von 1,4 Prozent, als Verheiratete/r Zusatzbelastung von 0,07 Prozent
- Person 4: Als Single Zusatzbelastung von 6,0 Prozent, als Verheiratete/r Zusatzbelastung von 5,0 Prozent
Von einer übermäßigen Belastung gerade mittlerer Einkommen kann bei den Steinbrückschen Steuerplänen angesichts von Werten im unteren Promillebereich also gerade nicht gesprochen werden. Die Zahlen zeigen zudem auch, dass selbst für hohe Einkommen von 500.000 Euro, mit denen entsprechend hohe Vermögen einhergehen, die zusätzliche Belastung mit 5-6 Prozent eher moderat ist. Der Alarmismus des FAZ-Artikels ist damit ebenso fehl am Platz, wie es die statistischen Tricks sind, mit denen er diesen Alarmismus zu untermauern versucht.
Rückblick. Was waren das noch für Zeiten: 2010 kämpften Steinbrück und Bund der "Steuerzahler" Seit' an Seit' gegen die Rentengarantie. Vereint war diese Phalanx gegen Sozialstaat und Solidarität, in die sich auch der damalige Wirtschaftsminister und damalige Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) einreihte. Letzterer ist heute kein Dr. und kein Minister mehr, ersterer fordert Steuererhöhungen – die politischen Verhältnisse scheinen sich verschoben zu haben. Führt man sich Steinbrücks Hin und Her bei politischen Positionierungen vor Augen, kann sich dies zwar schnell wieder ändern. Mit seinen aktuellen steuerpolitischen Forderungen ist er beim Bund der "Steuerzahler" dennoch auf massiven Protest gestoßen. Protest, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung offenbar gerne unterstützt. Protest, für den argumentative Redlichkeit offenbar nicht an erster Stelle steht.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.