Märchen aus der Deutschen Bank (8): Mit Privatisierung gegen Schulden und Krise
28. August 2013 | Patrick Schreiner
In fast regelmäßigen Abständen, so scheint es, veröffentlicht Deutsche Bank Research Papiere, mit denen europaweit die Privatisierung von staatlichen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen gefordert und beworben wird. Nach wie vor gilt Privatisierung, also die Übernahme staatlicher Unternehmen und Einrichtungen durch Private, in neoliberalen Augen als Königsweg zu mehr Wachstum und weniger Schulden. Grund genug, eine aktuelle Veröffentlichung von DBR genauer unter die Lupe zu nehmen.
Schon im Herbst 2011 erschien ein „EU-Monitor“ mit dem Titel „Erlöse, Wettbewerb, Wachstum“, Autor war Dieter Bräuninger. Im Juni 2013 erschien nun vom gleichen Autor eine Art Nachfolgewerk "Privatisierung im Eurogebiet" mit ähnlicher Intention: Der neoliberalen Leserschaft Argumente für mehr Privatisierungen zu liefern und einen aktuellen Überblick über den Sachstand in Europa zu geben. Entsprechend eröffnet Bräuninger seinen aktuellen Text mit einer kurzen Liste von Argumenten für mehr Privatisierungen. Ich will die wichtigsten dieser Punkte im Folgenden herausgreifen und kommentieren:
Der Staat kann durch Privatisierungserlöse zusätzliche Einnahmen generieren. Im entsprechenden Maß vermindern sich ceteris paribus die staatlichen Schulden bzw. deren Anstieg wird gebremst. Dies kann gerade für Länder mit hoher Staatsverschuldung und hoher Belastung durch den Schuldendienst bedeutsam sein.
Ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen dem Umfang von Privatisierungen und der Entwicklung des Schuldenstands eines Landes besteht nicht. Vergleicht man die OECD-Daten zu den Schuldenständen verschiedener Länder auf der einen Seite und die – von Bräuninger selbst als gute Quelle benannten – OECD-Indikatoren für den Umfang der Staatstätigkeit in den gleichen Ländern auf der anderen Seite, so ist zu konstatieren: Ein Zusammenhang zwischen beiden ist nicht festzustellen. Länder, die in den letzten 15 Jahren viele Privatisierungen vorgenommen haben, stehen bei der Entwicklung der Staatsverschuldung nicht besser und nicht schlechter da als Länder, die deutlich weniger privatisiert haben. (In meine Berechnung einbezogen habe ich alle OECD-Länder, für die die benötigten Daten vorliegen.) Dies kann auch nicht wirklich überraschen, denn verglichen mit den Schuldenständen nehmen sich die Werte der privatisierbaren Unternehmen doch recht bescheiden aus.
Soweit zum Staatssektor zählende Unternehmen veräußert werden, die (unter staatlicher Regie) nicht kostendeckend arbeiten, können sich weitere Entlastungseffekte für öffentliche Budgets ergeben. Das ist etwa der Fall, wenn solche Unternehmen staatliche Zuschüsse erhalten, die nach einer Privatisierung entfallen. Sind die Unternehmen verschuldet, reduziert ein Verkauf die Staatsverschuldung (zusätzlich) in dem Maße, wie der (private) Käufer die Schulden des Unternehmens übernimmt.
Hier verweise ich auf meine erste Anmerkung oben: Länder, die viel privatisieren, stehen bei der Entwicklung der Schuldenstände im Mittel nicht besser da. Sollte es finanzielle Entlastungseffekte geben, so sind sie allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Dem steht aber ein beträchtlicher politischer Schaden gegenüber: Der demokratische Kontrollverlust gegenüber dem privatisierten Unternehmen, oft genug verbunden mit Nachteilen für Verbraucherinnen und Verbraucher (schlechtere Leistung, schlechterer Service, höhere Preise). Ich verweise hierzu beispielhaft auf die Privatisierung der Wasserversorgung in vielen europäischen Städten sowie auf die Privatisierung der britischen Bahnen. Hinzugefügt sei auch, dass es durchaus gute Gründe geben mag, staatliche Unternehmen nicht kostendeckend arbeiten zu lassen. Dies sind dann politische, demokratische Entscheidungen, oft sozialpolitisch motiviert – die fehlende Kostendeckung wäre dann eben keineswegs die notwendige Konsequenz der Tatsache, dass sich das Unternehmen in staatlicher Hand befindet.
Privatisierung bietet krisengeschüttelten Länder v.a. auch die Chance, Kapital aus dem Ausland anzuziehen. Das ist umso wichtiger, als ein Einstieg ausländischer Investoren oft auch die Perspektiven für die Zufuhr von Know-how und verbesserter Einbindung der Unternehmen in internationale Wertschöpfungsketten eröffnet – mit positiven Effekten für die gesamte Volkswirtschaft.
Ja, das kann der Fall sein, dass ein privater Investor Know-How und/oder Kapital einbringt – aber auch das genaue Gegenteil ist möglich: Der Einstieg von reinen Finanzinvestoren, die das privatisierte Unternehmen zerstückeln und/oder aussaugen, in vielen Fällen schlicht mit dem Ziel, es anschließend gewinnbringend weiterzuverkaufen. Man werfe beispielhaft einen Blick auf die zahlreichen Privatisierungen kommunaler Wohnungsunternehmen in Deutschland (etwa im Fall Dresdens).
Mit Privatisierungen können verschuldete Staaten die Glaubwürdigkeit ihrer Programme zur Haushaltssanierung dokumentieren und damit ein wichtiges Signal für internationale Anleiheinvestoren setzen. Damit verbessert sich für die Länder prinzipiell die Aussicht auf niedrigere Anleihezinsen und nachhaltig günstigere Finanzierungsbedingungen für die öffentliche Hand.
Dieses Argument scheint ein Dauerbrenner für neoliberale Krisenbekämpfer zu sein: Je mehr ein Staat sich anstrengt, seinen Willen zur „Haushaltskonsolidierung“ zum Ausdruck zu bringen, desto mehr wird ihm vertraut, desto schneller bekommt er die Krise in den Griff – so ihr Märchen. Die Realität sieht anders aus: Griechenland ist das Land im Euroraum mit den stärksten Ausgabenkürzungen, Portugal das Land mit den umfangreichsten Privatisierungen der letzten Jahre. Zugleich sind es die Länder mit den größten sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten und dem holprigsten Zugang zu neuen Krediten. Ergo: Nicht Ausgabenkürzungen und Privatisierungen führen zu Vertrauen und „Glaubwürdigkeit“, sondern wirtschaftlicher Aufschwung und Entwicklung.
Angesichts der hohen Interdependenz gerade der Finanzmärkte sollten auch Unternehmen von besseren Finanzierungskonditionen profitieren können. Privatisierungen können so über positive Finanzmarkteffekte Impulse für Investitionen und Innovationen setzen.
Auch das ein völlig unbegründetes Märchen, das hier auch noch mit unverständlicher neoliberaler Bla-Bla-Blubb-Sprache formuliert wird. Vermutlich ist an dieser Stelle gemeint, dass ein privatisiertes Unternehmen bessere Zugänge zu den Finanzmärkten hat als ein staatliches und es daher auch bessere Finanzierungsbedingungen genießt. Allerdings: Nach wie vor sind Staaten im Regelfall die solventesten und sichersten Schuldner, wenn auch nicht so solvent und sicher, wie Finanzmarktakteure jahrelang glaubten. Staaten und staatliche Unternehmen genießen daher nach wie vor (zu Recht) die besseren Finanzierungsbedingungen.
Mit dem Ausstieg aus wirtschaftlicher Tätigkeit kann der Staat schließlich auf direktem Weg das Wirtschaftswachstum stimulieren, weil neue Räume für private Betätigung entstehen.
Hinter dieser Behauptung steht eine gängige neoliberale Behauptung, nämlich die, dass der Staat als Hemmschuh der Privatwirtschaft angesehen werden muss. Das ist ein reiner Glaubenssatz, ohne empirische Grundlage, und Gegenbeispiele zu dieser Behauptung gibt es genug. Doch auch aus Sicht der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechung ist sie falsch: In das Bruttoinlandsprodukt als Indikator für die in einer Volkswirtschaft erbrachten Leistungen fließen die Leistungen staatlicher Unternehmen genauso ein wie die privater. Für das Wachstum der Volkswirtschaft ist es aus statistischer Perspektive also unerheblich, ob ein Unternehmen staatlich oder privat ist.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.