Rezension
Rezension: Nation - Ausgrenzung - Krise
18. Februar 2014 | Kai Eicker-Wolf
Wer im Zusammenhang mit der Eurokrise an Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus denkt, dem wird als erstes die Situation in Griechenland in den Sinn kommen. Dort sitzt die neofaschistische Partei „Goldene Morgenröte“ mit 21 Abgeordneten im Parlament – bei der Parlamentswahl im Mai 2012 hatte sie 7 Prozent der Stimmen erhalten, Umfragen sahen sie danach zwischenzeitlich bei 15 Prozent. Zahlreiche Gewalttaten der Goldenen Morgenröte dokumentiert der entsprechende Artikel des Online-Lexikons Wikipedia. Internationales Aufsehen erregte im September 2013 die Ermordung des linken Aktivisten und Musikers Pavols Fyssas durch ein Parteimitglied der Goldenen Morgenröte. Sebastian Friedrich und Patrick Schreiner haben einen Sammelband herausgegeben, der sich umfassend – und nicht nur mit Blick auf Griechenland – mit der Wechselbeziehung von Nationalismus, Ausgrenzung und Krise auseinandersetzt.
Das Buch (bol.de, thalia.de, buch.de, ebook.de) gliedert sich in zwei Teile. Die Aufsätze im ersten Teil nehmen länderübergreifende und zum Teil theoretische Perspektiven ein: So setzt sich im ersten Beitrag Christoph Butterwegge mit dem Verhältnis von neoliberaler Standortlogik auf der einen sowie Nationalismus und rassistischer Ausgrenzung auf der anderen Seite auseinander. Die Legitimationsprobleme des Euro-Kapitalismus und der die Auswirkungen der Krise auf das europäische Grenzregime sind weitere Themen, die von Ingo Schmidt und Bernd Kasparek/Vassilis S. Tsianos behandelt werden. Zwar finden sich in fast allen Aufsätzen des ersten Teils krisentheoretische Ausführungen, die in der Tradition der Marxschen Theorie und insbesondere der Regulationsschule stehen. Eine grundlegende ökonomische Analyse der Euro-Krise, die als Teil der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu interpretieren ist, fehlt allerdings. Ein entsprechender Text hätte den ersten Teil abgerundet.
Im umfangreicheren zweiten Teil des Buchs werden dann in 13 sehr informativen Länderstudien aktuelle Formen von Nationalismus und Ausgrenzung in den Fokus genommen. Bewusst haben sich Heraus-geber, wie sie in der Einleitung schreiben, dabei nicht auf jene Staaten beschränkt, „die in Politik, Medien und Wissenschaft im Zusammenhang mit der Krise ohnehin immer wieder thematisiert werden.“ (S. 10) So wird neben Ländern wie Deutschland oder Griechenland die Lage in Ländern wie Weißrussland, der Türkei oder den Niederlanden dargestellt, über die in den deutschen Medien so gut wie nicht berichtet wird. Ein kleines Manko ist, dass die Situation in Portugal und Frankreich nur sehr knapp in dem abschließenden Überblicksaufsatz abgehandelt wird. Vermutlich haben die Herausgeber für diese Länder keine kompetenten AutorInnen gefunden – was schade ist, da Portugal zu den südeuropäischen Krisenländern gehört, und in Frankreich die extreme Rechte in Gestalt der Front National bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr immerhin 18 Prozent der Wählerstimmen erhielt.
Trotz der genannten Kritikpunkte ist der Sammelband mehr als gelungen. Sebastian Friedrich und Patrick Schreiner können für sich beanspruchen, die erste umfangreiche, systematische und kritische Analyse der zunehmenden Ausgrenzung und Entsolidarisierung infolge der Eurokrise vorgelegt zu haben. Wer sich mit der Eurokrise und ihren Folgen befasst, sollte das Buch gelesen haben.
Bibliographische Angaben
Sebastian Friedrich/Patrick Schreiner (Hg.), Nation – Ausgrenzung – Krise. Kritische Perspektiven auf Europa, edition assemblange, Münster 2013, 236 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-942885-36-2 (bol.de, thalia.de, buch.de, ebook.de).
Dieser Artikel erschien zuerst in Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.