Das EU-US-Freihandelsabkommen und sein angeblicher Beitrag gegen die Krise
12. Februar 2014 | Patrick Schreiner
Im Zuge der Diskussion um die aktuellen Verhandlungen eines transatlantischen EU-US-Freihandelsabkommens (TTIP) wird immer wieder auf Wohlstandsgewinne verwiesen, die durch ein solches eintreten können oder sollen. Dabei wird bisweilen auch ein Beitrag von TTIP zur Überwindung der aktuellen Wirtschaftskrise in Europa behauptet. Doch selbst die optimistischsten Prognosen lassen solche Aussagen zweifelhaft erscheinen.
Medial und politisch breitgetreten wurde hierzulande insbesondere eine Studie, die die freihandelsfreundliche Bertelsmann-Stiftung im Juni dieses Jahres veröffentlicht hat und die auf Berechnungen des ifo-Instituts beruht. In der Tat behauptet dieser Text phantastische Ergebnisse: Durch die Freihandelszone EU-USA würden die EU-Staaten und die USA stark profitieren. Die Wirtschaftsleistung soll deutlich ansteigen, der Wohlstand zunehmen und in großem Umfang sollen neue Arbeitsplätze entstehen.
Solche Prognosen sind wissenschaftlich fragwürdig (1, 2); sie dürften zudem – wie schon früher etwa bei der Einführung des EU-Binnenmarkts – ausschließlich der politischen Meinungsmache pro TTIP dienen. Doch sie verfangen. So sieht der Staatsrat beim Bremer Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Heiner Heseler (SPD), "Wachstum und Arbeitsplätze" als sichere Effekte des Freihandelsabkommens:
Wenn Zölle wegfallen und Vorschriften vereinheitlicht werden, bringt das Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze - gerade in den Regionen, die besonders vom Export abhängig sind.
Der EU-Handelskommissar Karel de Gucht, für die Verhandlungen mit den USA zuständig, im Monitor-Interview:
Es ist ganz offensichtlich, dass das Wachstum schaffen wird und mehr Einkommen für unsere Bürger. Ich bin ziemlich sicher, dass es Hundertausende neuer Arbeitsplätze bringen wird.
Der Chef von Ford Deutschland, Bernhard Mattes, spricht gar von einem „Konjunkturprogramm“:
Dieses Abkommen wäre ein Konjunkturprogramm, bei dem keiner der beteiligten Staaten das Geld der Steuerzahler in die Hand nehmen müsste.
Ein Konjunkturprogramm hätte Europa ja in der Tat nötig. Dass das TTIP ein solches darstellt, kann aber getrost bezweifelt werden. Die Fragwürdigkeit solcher Prognosen habe ich oben schon erwähnt. Ein Aspekt sei im Folgenden allerdings etwas genauer betrachtet. In einigen Äußerungen in Politik, Wissenschaft und Medien wird immer wieder ein Beitrag des Freihandelsabkommens für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den Krisenländern Südeuropas behauptet. Die Krisenländer Südeuropas sollen gemäß der oben genannten Studie der Bertelsmann-Stiftung besonders profitieren: Italien mit einem um 4,9 Prozent höheren Bruttoinlandsprodukt, Griechenland mit 5,1 Prozent und Spanien mit 6,55 Prozent kommen sogar auf noch bessere Werte. Die Arbeitslosigkeit soll allenthalben deutlich sinken.
Am deutlichsten hat Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung, bei der Vorstellung der Studie angebliche Vorteile für Südeuropa formuliert:
Ein transatlantisches Freihandelsabkommen wäre ein wichtiges Instrument für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa. Gerade die krisengeschüttelten Südeuropäer würden davon überdurchschnittlich profitieren.
Auch die EU-Kommission behauptet einen direkten Beitrag von TTIP zur Ãœberwindung der Krise:
The TTIP is expected to result in more jobs and more growth and help lift Europe out of the economic crisis.
Und erneut Karel de Gucht unter Bezug auf das Freihandelsabkommen:
Mehr Jobs, mehr Wachstum, damit kommen wir aus der Krise.
Sieht man sich allerdings die Zahlen genauer an, bleibt von einem Beitrag des TTIP gegen die Krise nicht viel übrig (siehe die untenstehende Abbildung). Selbst wenn man das optimistischste und deshalb unrealistischste Szenario zu Grunde legt, das vom ifo-Institut in der Studie für die Bertelsmann-Stiftung durchgerechnet wurde, sind die Arbeitsplatzgewinne verglichen mit den krisenbedingten Arbeitsplatzverlusten nur ein Tropfen auf den heißen Stein. So prognostiziert die - äußerst freihandelsfreundliche! - Studie für Griechenland langfristig knapp 35.000 neue Arbeitsplätze, für Spanien knapp 143.000. Verglichen mit den durch die Krise verlorenen 980.000 bzw. 4 Mio. Jobs macht dies gerade einmal 3,5 Prozent bzw. 3,6 Prozent aus. In Italien mit knapp neun Prozent und in Portugal mit 11,5 Prozent liegen diese Werte nur etwas höher. Und dies, obwohl es sich um – darauf sei erneut hingewiesen – das optimistischste Szenario handelt, das für die Bertelsmann-Stiftung berechnet wurde und das mit Sicherheit nicht einmal annähernd in dieser Höhe eintreten wird.
Quelle der in der Abbildung verwendeten Daten: Eurostat, Bertelsmann-Stiftung.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.