Es geht nicht nur um Wagenknecht: Zur Präsenz linker Personen und Inhalte im Fernsehen
28. Januar 2014 | Patrick Schreiner
Die mediale Aufarbeitung des „Gesprächs“ zwischen Markus Lanz und Sahra Wagenknecht scheint in der vergangenen Woche in die dritte Runde gegangen zu sein. Nachdem Blogs und Medien zunächst die Sendung selbst schilderten, dann fasziniert-entsetzt den immer größeren Erfolg der Online-Petition gegen Markus Lanz berichten mussten, bemühen sich manche nun verstärkt, die Vermutung zu widerlegen, dass die Linkspartei von Presse und Fernsehen benachteiligt würde.
Eigentlich wollte ich zur Causa Lanz-Wagenknecht nichts schreiben – denn erstens gibt es Wichtigeres als die schlechte Kinderstube eines drittklassigen Moderators, und zweitens haben andere schon genug dazu geschrieben. Doch dann bekam ich in der vergangenen Woche die aktuelle Ausgabe der medienanalytischen Zeitschrift „Media Perspektiven“ in die Finger, darin eine genaue Aufstellung über die Fernsehauftritte von Politiker/innen der verschiedenen Parteien rund um die Bundestagswahl 2013 in Sendungen mit Wahlbezug. Und dann erweckten Fabian Reinbold in einem Artikel auf Spiegel Online sowie Hans-Ulrich Jörges in einem Video auf stern.de den Eindruck, als ob Politiker/innen der Linken nicht seltener im Fernsehen auftreten würden als andere, ergo kein Grund zur Klage bestünde. Reinbold formuliert dabei expliziter als Jörges:
Die Linke sieht sich allzu gern als Opfer der Medien. Sie wittert Zensur, Kampagnen, Totschweigen ihrer Positionen.
Das war mir dann doch Motivation genug, mir die tatsächlichen Zahlen ein wenig genauer anzusehen.
Sowohl Reinbold als auch Jörges argumentieren, dass 2013 kein/e Politiker/in häufiger in Talkshows aufgetreten sei als Sahra Wagenknecht. Tatsächlich zeigt eine Aufstellung bei meedia.de, dass dies stimmt. Das bedeutet allerdings nicht, dass Wagenknecht bei den Medien die absolute Favoritin ist, auch wenn Reinbold dies wie folgt suggeriert:
Wagenknecht ist, Lanz hin oder her, ein Liebling des Fernsehens. Kein Politiker war in den vergangenen zwei Jahren öfter Gast in den großen Talkshows von ARD und ZDF. Neunmal trat die Linken-Vizechefin 2013 dort auf. Wagenknecht bei "Markus Lanz" , Wagenknecht bei "hart aber fair", Wagenknecht als einer der "Menschen bei Maischberger".
Reinbold verschweigt hier nämlich, dass es noch vier andere Politiker/innen gab, die neun Mal in Talkshows eingeladen wurden (Jürgen Trittin, Peter Altmaier, Thomas Oppermann, Wolfgang Bosbach) – Wagenknecht war also lediglich eine von fünf. Jörges erwähnt dies immerhin.
Nun stellt sich allerdings darüber hinaus die Frage, ob man den Vorwurf einer systematischen Benachteiligung der Linkspartei in den Medien überhaupt durch den Hinweis darauf ausräumen kann, dass eine einzige linke Politikerin vergleichsweise häufig in Talkshows auftritt. Sehr viel aussagekräftiger wäre doch eine Aufstellung aller Fernsehauftritte aller Politiker/innen, aufgegliedert nach Parteien. Und genau hier kommt die oben genannte Statistik der Fachzeitschrift Media Perspektiven ins Spiel. Sie hat sich unter anderem dieser Frage für den wichtigen Zeitraum vor und nach der Bundestagswahl 2013 gewidmet.
Schon in absoluten Zahlen zeigt sich, dass Politiker/innen der Linken in wahlrelevanten TV-Sendungen in den Wochen vor und in der ersten Woche nach der Bundestagswahl 2013 seltener als Politiker/innen anderer im Bundestag vertretener Parteien ins Fernsehen eingeladen wurden:
Abbildung 1: Parteipräsenz in Sendungen mit Bezug auf die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl 2013, Zahl der Auftritte von Politiker/inne/n; einbezogene Sender: ARD, ZDF, SAT.1, RTL, ProSieben; Untersuchungszeitraum 31.-39. Woche 2013; Quelle: Media Perspektiven 12/2013, S. 603; eigene Darstellung.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass in diese Statistik auch Wahlsendungen zu den verschiedenen Landtagswahlen 2013 einflossen, die allesamt in West-Bundesländern stattfanden, ist der vergleichsweise schwache Wert für die Linkspartei doch deutlich. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch, wenn man nicht nach Zahl der Auftritte, sondern nach der Zahl der Minuten fragt, die Politiker/innen der einzelnen Parteien im Fernsehen zu sehen waren:
Abbildung 2: Parteipräsenz in Sendungen mit Bezug auf die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl 2013 (Nachrichten, Magazine und Wahlsendungen), Dauer der Auftritte von Politiker/innen der Parteien in Minuten; einbezogene Sender: ARD, ZDF, SAT.1, RTL, ProSieben; Untersuchungszeitraum 31.-39. Woche 2013; Quelle: Media Perspektiven 12/2013, S. 606; eigene Darstellung.
Nun könnte man argumentieren, dass die TV-Sender kleinere Parteien zu Recht seltener berücksichtigen, da ja das Interesse von Wähler/inne/n an ihnen geringer sei, ablesbar an dem geringeren Zuspruch bei Wahlen. Absolute Zahlen wären aus dieser Perspektive nicht aussagekräftig, man bräuchte relative. Allerdings: Setzt man in diesem Sinne die Zahl der Fernsehauftritte der Parteien ins Verhältnis zu den Wahlergebnissen (der Bundestagswahlen 2009 und 2013), so bestätigt sich der Eindruck einer unterdurchschnittlichen Berücksichtigung der Linken. Die nachfolgende Grafik zeigt, dass – eben auch relativ zu den Wahlergebnissen – die Zahl der Fernsehauftritte linker Politiker/innen 2013 hinter allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien deutlich zurückblieb:
Abbildung 3: Parteipräsenz in Sendungen (Zahl der Auftritte von Politiker/inne/n, nur Magazine und Nachrichten, die Berücksichtigung auch von Wahlsendungen würde zum weitgehend gleichen Ergebnis führen) mit Bezug auf die Bundestagswahl oder eine Landtagswahl 2013 relativ zu den Wahlergebnissen der Bundestagswahlen 2009 und 2013; einbezogene Sender: ARD, ZDF, SAT.1, RTL, ProSieben; Untersuchungszeitraum 31.-39. Woche 2013; Quelle: Media Perspektiven 12/2013, S. 603; eigene Berechnung und Darstellung.
Besonders auffällig ist interessanterweise auch der relativ große Wert von Bündnis 90/Die Grünen vor allem relativ zum Wahlergebnis 2013, aber durchaus auch relativ zum Wahlergebnis 2009. Er dürfte, neben dem schlechten Wahlergebnis, insbesondere auf die vor der Wahl aufgezogene Kampagne gegen die grünen steuerpolitischen Forderungen (die ähnlich auch von SPD und Linken erhoben wurden, ohne dass diese dafür in ähnlicher Weise in die Mangel genommen worden wären) sowie auf das mediale Breittreten des völlig irrelevanten Themas „Veggie Day“ zurückzuführen sein. Die grünen Politiker/innen dürften hier in sehr vielen Fällen in eine defensive, rechtfertigende Rolle gedrängt worden sein. Dies zeigt zweierlei: Erstens, mediale Kampagnen gibt es offenbar nicht nur gegen die Linkspartei, sondern auch gegen andere Parteien, sofern diese inhaltlich linkere Positionen aufgreifen. 2013 wurden die Grünen abgestraft - auch wiederholt durch eine irreführende Berichterstattung. Zweitens, die Häufigkeit von Fernsehauftritten ist keineswegs alleine ausschlaggebend, sondern auch die Art und Weise, in der Politiker/innen präsentiert werden. Womit wir allerdings dann doch wieder bei ideologischer Voreingenommenheit angekommen wären - wie beispielsweise die des Herrn Lanz.
Noch eine kurze Anmerkung zum Schluss: Wer wie Reinbold und Jörges meint, dass mit einer ausgebufften Politikerin wie Wagenknecht nur durch einen flegelhaften Interviewstil à la Lanz zurechtzukommen ist, der möge sich an die Talksendungen von Michel Friedman zu dessen besten Zeiten erinnern. Friedman verlangte präzise Antworten auf seine Fragen, akzeptierte keine Ausflüchte und unterbrach deshalb seine Gesprächspartner/innen in der Tat häufig. Aber er gab ihnen (anders als Lanz) sehr wohl die Chance, Antworten zu geben, wenn diese dazu redlich bereit waren. Das konnte er sich leisten, weil er rhetorisch und intellektuell mit seinem Gegenüber mindestens auf Augenhöhe war.
Ein letzter Hinweis: Die Online-Petition gegen Markus Lanz kann immer noch unterstützt werden.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.