Roland Bleiker: „Flüchtlinge werden in australischen Medien gezielt als Bedrohung abgebildet“
19. Februar 2014 | Patrick Schreiner
Ein Interview mit Roland Bleiker zur ausgrenzenden Darstellung von Flüchtlingen in australischen Medien. Roland Bleiker ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Queensland (Australien). In der Zeitschrift "Australian Journal of Political Science" hat er jüngst zusammen mit drei Kolleg/inn/en die Ergebnisse der gemeinsamen Forschungstätigkeit zur visuell-medialen Darstellung von Flüchtlingen veröffentlicht.
Die australische Flüchtlingspolitik der letzten Jahre war – vielleicht vergleichbar der europäischen – zunehmend restriktiv. Was sind die wichtigsten Aspekte dieser Politik?
Roland Bleiker: Das ist in der Tat der Fall. Die australische Flüchtlingspolitik war im letzten Jahrzehnt sehr restriktiv. Obwohl bis vor kurzem die meisten Flüchtlinge über geregelte Aufnahmeprogramme nach Australien kamen, bezogen sich die öffentlichen Diskussionen vor allem auf Flüchtlinge, die mit Booten im australischen Hoheitsgebiet ankamen. Seit 1998 waren es etwa 600 Bote mit 35.000 Flüchtlingen. Davon starben mehr als 1.000 auf der Reise. Die überlebenden Flüchtlinge werden dann in Internierungslager gebracht, wo sie für längere Zeit auf eine Entscheidung über ihren Asylantrag warten.
Wie stehen die verschiedenen politischen Lager zur Flüchtlingsthematik?
Roland Bleiker: Die Politik in Australien wird von zwei Parteien dominiert: Von der sozialdemokratischen Labour Party und der Liberal Party, wobei letztere regelmäßig mit der National Party koaliert. Zwischen diesen beiden Lagern gibt es unterschiedliche Auffassungen über Detailfragen, aber bezüglich der Flüchtlingspolitik im Generellen sind sie sich erstaunlich ähnlich: Beide großen Parteien machen sich stark für eine restriktive Politik, die eine Verteidigung des australischen Hoheitsgebiets proklamiert. Diese Politik wird vor allem im Rahmen von Wahlkampagnen stark vorangetrieben, da sich beide Parteien damit einen entscheidenden Stimmenzuwachs versprechen.
Sie schreiben in Ihrem Aufsatz von "dehumanising visual patterns". Was ist damit gemeint? Was sind die wesentlichen Elemente der visuell-medialen Darstellung von Flüchtlingen?
Roland Bleiker: Unsere Forschung konzentriert sich vor allem darauf, wie Flüchtlinge visuell in den Medien dargestellt werden. Dazu haben wir systematisch über zehn Jahre die Titelseiten von australischen Printmedien untersucht. Dabei kam vor allem ein Muster zur Geltung: Flüchtlinge wurden in erster Linie in mittelgroßen bis großen Gruppen dargestellt, das waren etwa zwei Drittel aller Bilder. Nur gerade zwei Prozent aller Bilder zeigten individuelle Flüchtlinge mit klar sichtbaren Gesichtsausdrücken. Dies hat weitreichende Konsequenzen. Zahlreiche psychologische Studien haben gezeigt, dass gerade Bilder von individuellen Flüchtlingen am ehesten Sympathien erwecken. Bilder von anonymen Massen können hingegen Angst und Abneigung auslösen. Australiens Medien betreiben also eine visuelle Dehumanisierung von Flüchtlingen, eine entmenschlichende Darstellung.
Lassen sich dabei Unterschiede zwischen eher linken und eher konservativen Zeitschriften und Zeitungen feststellen?
Roland Bleiker: Nein, erstaunlicherweise ist dies nicht der Fall. Wir haben eine konservative Zeitung (The Australian) wie auch eine eher liberale Zeitung (The Sydney Morning Herald) untersucht. Die Grundmuster waren in beiden Zeitungen über ein Jahrzehnt hinweg sehr ähnlich – außer dass auf den Titelseiten des Australian mehr Bilder erschienen als auf denen des Sydney Morning Herald. Die ähnlichen Grundmuster bei der Darstellung von Flüchtlingen führen wir vor allem darauf zurück, dass es für Foto-Journalisten sehr schwierig ist, Aufnahmen von individuellen Flüchtlingen zu machen.
Nimmt die australische Regierung Einfluss auf die Darstellung von Flüchtlingen?
Roland Bleiker: Ja, die verschiedenen australischen Regierungen der letzten Jahre haben klar Einfluss auf die Darstellung von Flüchtlingen ausgeübt. Für Journalisten ist es sehr schwierig geworden, Fotografien von individuellen Flüchtlingen zu machen. Boote könnten nur aus der Distanz fotografiert werden. Und bei Besuchen von Internierungslagern ist es den Journalisten verboten, Portraits von Flüchtlingen zu machen. Diese Regelung ist offiziell zum Schutz der Flüchtlinge gedacht, damit ihre zurückgebliebenen Familien keinen Schaden nehmen. Das Resultat hingegen kommt einer Dehumanisierung der Flüchtlinge gleich.
Gibt es seitens der Medien keine Proteste gegen diese offensichtliche Einschränkung der Pressefreiheit? Macht man sich selbst freiwillig zum Helfershelfer?
Roland Bleiker: Doch, es gibt Proteste seitens der Medien gegen die an diesem Punkt doch sehr eingeschränkte Pressefreiheit. Im Oktober 2011, zum Beispiel, führte die damalige Labour-Regierung eine neue Regelung ein: Alle Journalisten, die Internierungslager besuchen möchten, hatten von da an eine Vereinbarung zu unterschreiben. Ziel dieser Vereinbarung ist es, die Zirkulation von Bildern zu kontrollieren und es unmöglich zu machen, Portraits von Flüchtlingen aufzunehmen. Dies war, wie erwähnt, offiziell zu deren Schutz gedacht. Mehrere Presseorgane hatten sich vehement dagegen gewehrt – sie waren allerdings nicht erfolgreich.
Was sind die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser ausgrenzenden Darstellung von Menschen, die nach Australien flüchten bzw. zu flüchten versuchen?
Roland Bleiker: Die Hauptkonsequenz der visuellen Dehumanisierung besteht darin, dass seit etwa zehn Jahren Flüchtlingsdramen nicht als humanitäre Krisen gesehen und diskutiert werden. Stattdessen präsentieren Politiker die Asyldebatte in erster Linie als sicherheitspolitische Debatte: Es gehe darum, das australische Hoheitsgebiet vor unbefugten Eindringlingen zu schützen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.