Der Geist von Wildbad Kreuth: Die CSU blinkt rechts und hetzt gegen "Armutsmigration"
4. Februar 2014 | Sebastian Friedrich
Kurz vor dem Jahreswechsel tauchte eine Beschlussvorlage für die Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten im bayrischen Wildbad Kreuth auf, die eine Debatte um sogenannte Armutsmigration auslöste. Seit dem 1. Januar 2014 gilt in der Europäischen Union (EU) die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit, auch für BürgerInnen aus Rumänien und Bulgarien.
Die der Presse zugespielten Sätze des CSU-Papiers wurden auf der Klausurtagung dann auch im Kern beschlossen: Es gebe einen fortgesetzten Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch »Armutszuwanderung«, weshalb die CSU »falsche Anreize zur Zuwanderung« verringern wolle. Außerdem werde eine generelle Aussetzung des Sozialleistungsbezuges für die ersten drei Monate des Aufenthaltes in Deutschland geprüft und dem »Sozialleistungsbetrug« der Kampf angesagt. Die kurze Formel lautet: »Wer betrügt, der fliegt«.
Die CSU-Position wurde seit Beginn der Debatte kritisiert. So wiesen beinahe alle Medien auf die geltende Rechtslage hin, die sich im Grunde bereits mit der CSU-Forderung deckt. Auffallend ist hingegen, dass sich mittlerweile in der Debatte durchgesetzt hat, die ökonomische Nützlichkeit der Einwanderung von Fachkräften aus Rumänien und Bulgarien in den Vordergrund zu rücken. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor Schäden für die Wirtschaft: »Die Zuwanderung insgesamt darf nicht durch eine aufgeheizte politische Diskussion in ein schlechtes Licht gerückt werden«, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.
Ebenfalls war von den Koalitionspartnern, SPD und CDU, deutliche Kritik zu vernehmen. Insbesondere die SPD beklagte, das Papier sei Wahlkampfgetöse und vor dem Hintergrund der anstehenden Kommunalwahlen in Bayern und der Europawahl Ende Mai 2014 zu interpretieren.
Vieles deutet darauf hin, dass sich die aktuelle Kampagne der CSU nicht auf ein Wahlkampfmanöver beschränkt, sondern sich die Christsozialen mittel- und langfristig wieder als explizit konservative Partei profilieren möchten. Wildbad Kreuth ist innerhalb der CSU ein Symbol für diese Bestrebung. Dort betreibt die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung ein Tagungshaus und Bildungszentrum. Seit Mitte der 1970er Jahre treffen sich dort jährlich die CSU-Bundestagsabgeordneten. Im November 1976 kam es dort zum Kreuther Trennungsbeschluss, der eine Auflösung der gemeinsamen Bundestagsfraktion mit der CDU vorsah und eine bundesweite Ausweitung der CSU als rechtskonservative Partei in Aussicht stellte.
Der Beschluss wurde zwar kurze Zeit später wieder zurückgenommen, dennoch rang die CSU der großen Schwesterpartei Zugeständnisse ab und kann seitdem leichter auf ihrer relativen Autonomie beharren.
Auch wenn die Idee von der CSU als bundesweite (rechts-)konservative Partei mit der neoliberalen Wende der FDP Anfang der 1980er Jahre und spätestens mit dem Regierungswechsel 1982 massiv an Bedeutung verlor, spukt der viel beschworene Geist von Wildbad Kreuth noch heute in der Parteienlandschaft.
Abtrünnige CSU-Mitglieder hielten nach dem Wechsel der Bundesregierung an der Idee einer bundesweiten Partei rechts von der Union fest und gründeten - zumal erschüttert vom »DDR-Retter« Franz Josef Strauß, der 1983 der DDR einen Milliardenkredit organisierte - im Jahr 1983 die rechte Kleinpartei Die Republikaner. In Abgrenzung zu dieser neuen rechten Partei fiel 1986 der legendäre Satz von Strauß: »Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.«
Dieses Strauß'sche Gebot war angesichts der vermeintlichen Sozialdemokratisierung der Merkel-CDU in den letzten Jahren wieder häufiger aus CSU-Kreisen zu hören. Der berüchtigte CSU-Europaabgeordnete und Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt, betonte gar im Sommer 2010 erneut die Möglichkeit einer Ausdehnung der CSU auf Bundesebene.
Thematisch schlägt sich die Rechtsausrichtung der CSU seit zwei Jahren in den stetigen Warnungen vor einer »Armutszuwanderung« nieder. Bisher war dafür vor allem der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich zuständig. Daneben waren es insbesondere Markus Söder und Alexander Dobrindt, die mehrmals durch markige Aussagen zur Eurokrise auffielen. Söder forderte den Austritt Griechenlands aus dem Euro, denn Schuld an der Situation in Griechenland seien die Griechen »und sonst keiner«; Dobrindt bezeichnete den EZB-Präsidenten, Mario Draghi, angesichts dessen Vorschlags einer Zinsobergrenze beim Kauf von Staatsanleihen als »Falschmünzer«.
Hinsichtlich der aktuellen CSU-Kampagne gegen Arbeitsmigration gibt es einige Parallelen zur Conservative Party in Großbritannien. Der britische Parteichef und Ministerpräsident, David Cameron, macht seit Monaten intensiv Stimmung gegen »Armutsmigration« aus Osteuropa. In einem Gastbeitrag in der Financial Times meinte Cameron: »Wenn die Leute nicht hier sind, um zu arbeiten - wenn sie betteln oder im Freien schlafen -, dann werden sie entfernt«.
Diese starken Worte dürften im Zusammenhang mit der europaskeptischen und rechten United Kingdom Independence Party (UKIP) stehen, die bei der letzten Europawahl im Jahr 2009 mit 16,5 Prozent die zweitstärkste Partei wurde, mit 13 Sitzen im Europäischen Parlament vertreten ist und in den letzten Monaten stark an Zustimmung gewonnen hat. Aktuell sehen Umfragen sie bei etwa 25 Prozent.
Mit der rechten Alternative für Deutschland (AfD) sieht sich die CSU ebenfalls mit einer Partei konfrontiert, die sich dazu aufmachen könnte, der CSU das »rechte demokratische« Spektrum streitig zu machen. Entsprechend bekräftigte die CSU in Wildbad Kreuth ihr Vorhaben, sich im Wahlkampf offensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Zwar werden sich die Verluste der CSU durch die AfD aller Voraussicht nach in Grenzen halten. Dennoch steht für Seehofer und Co einiges auf dem Spiel: Das Ergebnis der CSU bei der letzten Europawahl, immerhin knapp 50 Prozent, muss mindestens erreicht werden. Nur so kann das von Seehofer formulierte Ziel, die acht Sitze im Europaparlament zu verteidigen, erreicht werden. Denn im Gegensatz zu 2009 gilt nun die Dreiprozenthürde und Deutschland stehen weniger Sitze zu.
Die Wahl von Rechtsaußen Peter Gauweiler zum stellvertretenden Vorsitzenden vor zwei Monaten zeigt zudem, in welche Richtung die CSU über die anstehenden Wahlen hinaus ihr Profil schärfen möchte: in Richtung der AfD. Das dürfte in nächster Zeit die Debatten um Eurokrise und Einwanderung verschärfen, zumal die momentanen Kritiken den CSU-Positionen kaum etwas entgegensetzen können.
Auffällig ist, dass die meisten CSU-KritikerInnen die »Verwertbarkeit« als Vergleichsmaßstab anführen: So wird immer betont, dass die meisten MigrantInnen zwar arbeiten wollen oder Fachkräfte seien, es aber trotzdem eine Minderheit gebe, die unqualifiziert oder arbeitsunwillig sei. Da bisher kaum der Zusammenhang zwischen Rassismus und Klassenverhältnissen in den Blick genommen wurde, verwundert es zudem nicht, dass die implizite Forderung der CSU, Freizügigkeit zukünftig nur noch selektiv zu gewähren, nicht zur Debatte steht.
Im Gegenteil: Im Effekt wird sie gestützt, denn die bisherigen Entgegnungen stehen zum Großteil fest auf der Grundlage der CSU-Prämissen und drohen in sich zusammen zu fallen, wenn sich die Einschätzung darüber verändert, wer als nützlich oder nutzlos erscheint. Was wird etwa aus den medial immer wieder positiv hervorgehobenen fleißigen ArbeitsmigrantInnen im Niedriglohnbereich, die »gerne mal Überstunden machen«, wenn die wirtschaftliche Konjunktur sie gerade nicht braucht?
Einige Versuche, die Spaltung in gute und schlechte MigrantInnen medial zu unterlaufen, zielen auf die rassistischen Stereotype, die sich hinter den Äußerungen verbergen. So wird etwa der »antiziganistische« Gehalt der aktuellen Debatte kritisiert. Eine einseitige Repräsentation von Roma in den Medien als »Armutszuwanderer«, die mit Müll und Kriminalität assoziiert werden, steht hier im Zentrum der Beurteilung. Zweifelsohne wird in der Debatte um »Armutsmigration« rassistisch argumentiert, doch ist fraglich, ob eine Kritik ausreicht, die sich auf die Verwendung von rassistischen Bezeichnungen und rassistischen Repräsentationen beschränkt.
Rassismus setzt Menschen ins Verhältnis zueinander und reguliert dadurch den Zugang zu ökonomischen und symbolischen Ressourcen. Wie Juliane Karakayali und Birgit zur Nieden in ak 589 am Beispiel des Bildungssystems analysiert haben, basiert die Segregation der Gesellschaft auf dynamischen Differenzkategorien. Die Flexibilität des Rassismus wird auch in der aktuellen Debatte um »Armutsmigration« deutlich.
So stützen sich diejenigen, die Seehofer und den CSU-Beschluss kritisieren, in ihren vermeintlich nicht-rassistische Problembeschreibungen auf die Unterscheidungen zwischen »bildungsfernen« und »gut ausgebildeten« MigrantInnen. Sie unterscheiden zwischen denen, die kulturell noch im Mittelalter verhaftet seien, und den »Integrationsfähigen« - und sie unterscheiden zwischen unverantwortlichen, kindeswohlgefährdenden Eltern und deren Kindern, die geschützt werden müssen. Diese wirkmächtigen Differenzierungen stützen das rassistische Verhältnis und können ganz ohne sprachliche Reproduktionen auskommen.
Ferner bringen »positive Beispiele« Fallstricke mit sich. Zwar erweitern die Beispiele die Repräsentationsformen und können den rassistischen Stereotypen entgegenwirken, doch dienen sie zugleich als sichtbarer Beweis für die Leistungsideologie: Wer sich genügend anstrengt, kann es zu etwas bringen. Gleichzeitig werden Positivbeispiele zu Ausnahmefiguren stilisiert, die einer Masse von Menschen gegenüberstehen, die dem Ideal nicht entsprechen.
Auf den ersten Blick mag dem liberalen Verweis auf Leistung etwas Positives abgewonnen werden, da MigrantInnen scheinbar weniger aufgrund ihrer Herkunft sortiert werden. Allerdings zeigte nicht zuletzt die »Sarrazindebatte«, dass der Rassismus hier nicht verdrängt wird, sondern dass er sich mit Verweisen auf Leistung neuer Spaltungslinien zur Aufrechterhaltung der rassistischen Verhältnisse bedient.
Der Artikel erschien zuerst in analyse & kritik Ausgabe 590 vom 21. Januar 2014. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme des Textes.
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.