Kritische Stimmen zum geplanten EU-US-Freihandelsabkommen nehmen zu
5. März 2014 | Patrick Schreiner
Es hat recht lange gedauert, bis die Verhandlungen um das geplante EU-US-Freihandelsabkommen (TTIP) die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit gefunden haben. Auch hat es gedauert, bis die Fragwürdigkeit dieses Abkommens breit thematisiert wurde. In den letzten Tagen und Wochen aber mehren sich erfreulicherweise die kritischen Stimmen.
Dass einige gesellschaftliche und politische Akteure - wie Nichtregierungsorganisationen, attac und Die Linke - das geplante EU-US-Freihandelsabkommen von Beginn an kritisch sahen und ablehnten, überrascht angesichts der damit verbundenen Gefahren für Natur und Umwelt, Demokratie, Arbeitsrechte und Sozialstaat nicht. Dennoch fand TTIP lange Zeit weder in den Medien noch im breiten politischen Diskurs seinen Niederschlag. In jüngster Zeit aber scheint sich dies zu ändern. Die Kritik gesellschaftlicher Akteure wird lauter, und gerade auch in SPD, Grünen und Gewerkschaften, ja sogar in liberalen Medien wächst die Skepsis. Risiken und Gefahren rücken ebenso in den Mittelpunkt der Debatte wie die offensichtliche Fragwürdigkeit vieler Argumente (1, 2), die die Sinnhaftigkeit eines solchen Abkommens unterstreichen sollen. Und auch die mangelnde Transparenz der Verhandlungen stößt in der öffentlichen Debatte zunehmend auf Kritik.
Einige dieser jüngeren kritischen Äußerungen seien im Folgenden beispielhaft zitiert:
1. Der Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, forderte am 4. März in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, die TTIP-Verhandlungen sofort zu stoppen; er begründete dies unter anderem mit dem wachsenden Druck auf die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der durch ein solches Abkommen mittelbar entstehen würde:
Der Druck würde sich mittelbar aufbauen. Denn Liberalisierung bringt immer eine Verschärfung des Wettbewerbs mit sich. Die Konkurrenz wird härter, in diesem Fall die Konkurrenz Europas mit den USA, wo die Arbeitnehmerrechte deutlich schwächer sind und die Gewerkschaften von der Politik teilweise massiv bekämpft werden. Und da ist dann schon sehr die Frage, ob beispielsweise die deutschen Regeln zur Mitbestimmung in einer Freihandelszone nicht angegriffen werden.
Auch die mangelnde Transparenz der Verhandlungen findet seine Kritik:
Die genauen Inhalte werden von einer kleinen Gruppe im Hinterzimmer verhandelt. Deshalb wollen wir, dass dieses Thema endlich in einer breiten Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Die Diskussion ist weder so richtig in den Parteien angekommen, noch in den Gewerkschaften oder bei den Arbeitgebern.
2. Jüngst hat sich auch der verdi-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen in einer Stellungnahme deutlich gegen die derzeitigen TTIP-Verhandlungen positioniert:
Deshalb müssen die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über das Freihandelsabkommen so lange unbefristet ausgesetzt werden, bis die Voraussetzungen für faire Verhandlungen geschaffen sind. Dabei haben die USA folgende Bedingungen und Mindestregelungen zu erfüllen: Bereitschaft zur Unterzeichnung weitergehender Klimaschutzziele, Vereinbarung eines sog. NO-Spy-Abkommens mit der EU, Ratifizierung aller wesentlichen ILO-Mindestarbeitsnormen, Herausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus den Verhandlungen, Verzicht auf Investitionsschutzregelungen (Investor-Staat-Klagen)
Die Stellungnahme betont dabei auch den Aspekt der öffentlichen Dienstleistungen - ein Thema, das in der öffentlichen Debatte nach wie vor (zu) wenig Beachtung findet:
Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA bedeutet einen massiven Angriff auf das europäische Versorgungsprinzip und vor allem auf den Dienstleistungssektor in Europa. TTIP würde Tür und Tor für eine nur schwer zu begrenzende Zahl von zu privatisierenden Dienstleistungen öffnen. Es besteht die Gefahr, dass über den Weg des Abkommens Dienstleistungen, die beispielsweise in der Dienstleistungsrichtlinie der EU ausgenommen sind, privatisiert werden können. Damit droht ein weiterer Privatisierungsschub bei Bildung, Kulturförderung, Gesundheit, sozialen Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, Energie, Verkehr und Wasserversorgung.
3. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) äußerte sich gegenüber Spiegel Online skeptisch zum geplanten EU-US-Freihandelsabkommen und begründete dies insbesondere mit den drohenden Investitionsschutzklauseln:
Ich sehe das Abkommen sehr kritisch, vor allem im Hinblick auf das besagte Schiedsverfahren. Das würde bedeuten, dass Großkonzerne ihre Interessen gegen die Gesetzgebung der Mitgliedsländer der EU durchsetzen können, und zwar ohne demokratische Kontrolle. Das hätte eine historische Dimension.
4. Die Süddeutsche Zeitung berichtete über einen internen Vermerk aus Hendricks Bundesumweltministerium, in dem zahlreiche mit TTIP verbundene Gefahren für Natur und Umwelt aufgeführt sind. So ist dort nach SZ-Angaben unter anderem zu lesen, es
bestehen grundsätzlich Gefahren aus umweltpolitischer Sicht, zum Beispiel die Verwässerung von in der Regel höheren EU-Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz.
5. Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, forderte im Interview mit dem ARD-Morgenmagazin mehr Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen und einen Erhalt der hohen europäischen Schutzstandards.
6. Einen ähnlichen Schritt, wenn nicht sogar noch einen Schritt weiter gingen die Grünen in ihrem Europa-Wahlkampf-Programm. Während ein im September 2013 formulierter Programmentwurf noch „Chancen und Risiken“ abwägen wollte, beschloss der Parteitag im Februar letztlich eine sehr viel deutlichere und kritischere Formulierung:
Wir mobilisieren gegen die jetzige Agenda von TTIP, die unsere Prinzipien missachtet. Wir fordern die Aussetzung der Verhandlungen und einen kompletten Neustart, auf Basis eines transparenten Verfahrens und eines neuen Verhandlungsmandates. Wir GRÜNE werden keinem Abkommen zustimmen, das europäische Standards und Gesetze untergräbt.
7. Noch radikaler positionierte sich im Vorfeld des Parteitags die Grüne Jugend, die TTIP komplett ablehnt:
Als GRÜNE JUGEND lehnen wir TTIP entschieden ab. Für uns steht TTIP für eine Form von Politik, die wir ablehnen. Für uns führt kein Weg daran vorbei, bei internationalen Handelsabkommen eben auch die genauso von ihren Auswirkungen betroffenen Staaten des Globalen Südens miteinzubeziehen. Künftige Verhandlungen sollten aus diesem Grunde nur mit der expliziten Einbeziehung und Stärkung der sogenannten "Least Developed Countries" erfolgen. Zur inhaltlichen Debatte bei bi- und multilateralen Abkommen darf ferner niemals die Absenkung, sondern nur die Angleichung oder Erhöhung von Standards stehen. Wir setzen uns gegen wirtschaftsliberale Abkommen ein, die sich nicht an den Grundsätzen der Nachhaltigkeit ausgerichteten.
8. Dass TTIP schon heute negative Auswirkungen auf Demokratie und Schutzstandards hat, zeigt eine Äußerung der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dagmar Roth-Behrendt (SPD). Sie machte im Monitor-Interview darauf aufmerksam, dass die EU-Kommission offenbar schon jetzt Druck macht, damit das Parlament Entscheidungen fällt, die der Kommission in den TTIP-Verhandlungen mit den USA nützen:
Warum kann ein hoher Beamter der Generaldirektion Handel zu mir kommen und sagen, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte, bitte lehnt das nicht ab, lasst das passieren, weil sonst die Vereinigten Staaten uns nicht glauben und dann die Verhandlungen abbrechen. Was ist denn jetzt mit diesem windelweichen Vorschlag zum Klonen, der als Gesetzgebung jetzt kommt, mitten in den Verhandlungen? Das sind doch Beweise bereits dafür, wie es jetzt weitergehen soll.
9. Selbst in der liberalen "Zeit" ist zu lesen:
Endlich! Langsam wacht Berlin auf, langsam nimmt die Debatte um Sinn und Nutzen des geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP) hierzulande Fahrt auf. Nicht nur vielen Bürgern, auch manchem Bundestagsabgeordneten und sogar Teilen der Bundesregierung wird inzwischen klar: Dieses Abkommen ist hochriskant.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.