Dokumentation
Aufruf: Würde ist unteilbar - gegen Ausnahmen vom Mindestlohn
28. Mai 2014 | Redaktion
Deutschland wird einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn bekommen - doch drohen mindestens Jugendliche und Langzeitarbeitslose von diesem ausgenommen zu werden. Am heutigen Mittwoch hat in Berlin ein breites Bündnis mit einem Aufruf Position gegen solche Ausnahmen bezogen. Wir dokumentieren den Aufruf, der sich an Bundesregierung, Bundesrat und Abgeordnete des Bundestags richtet.
. . . . .
Den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung „Zur Stärkung der Tarifautonomie“ und die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro begrüßen wir ausdrücklich. Der Mindestlohn wird die Lebenssituation von über 5 Millionen Menschen verbessern. Mit der Einführung des Mindestlohns findet auch ein Kulturwandel in der Gesellschaft seinen Ausdruck: Die Arbeit des oder der Einzelnen wird wertgeschätzt und deswegen erstmalig an ein Mindestniveau gebunden. Das Mindestlohnniveau von 8,50 Euro beseitigt dabei nicht den gesamten Niedriglohnsektor, da die Niedriglohnschwelle bei zwei Drittel des mittleren Stundenlohns, also 9,30 Euro, liegt. Insofern muss die Erhöhung des Mindestlohns deutlich vor 2018 erfolgen.
Die 8,50 Euro ist also die unterste Schwelle und darf nicht noch zusätzlich unterschritten werden. Auch deshalb lehnen wir die geplanten Ausnahmen vom Mindestlohn für Jugendliche und Langzeitarbeitslose ab und fordern die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat auf, diese Ausnahmen zu streichen. Insbesondere Jugendliche und Langzeitarbeitslose unterliegen einem besonderen Schutzbedürfnis, da sie auf dem Arbeitsmarkt in einer verhältnismäßig schwachen Verhandlungsposition sind. Für die gleiche Arbeitsleistung sollen diese Menschen aufgrund ihres Status schlechter gestellt werden. Das ist ein verheerendes gesellschaftspolitisches Signal - ein Rückschritt - weil es die Arbeitsleistung dieser Menschen als minderwertig feilbietet.
Diese Ausnahmen wirken auf Jugendliche und Langzeitarbeitslose diskriminierend, stigmatisierend, demütigend und sind mit unserem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
Junge Menschen werden nicht auf eine Ausbildung verzichten, weil es einen Mindestlohn gibt. Die unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten zwischen einem Arbeitsverhältnis und einem Ausbildungsverhältnis sind heute schon eklatant und dennoch wissen die jungen Menschen nur zu gut, dass eine gute Ausbildung eine gute Berufs- und Einkommensperspektive eröffnet. Damit junge Menschen die Chancen haben in eine Ausbildung zu gehen, bedarf es eines ausreichenden Angebotes an Ausbildungsplätzen. Ausbildung sollte aus gesellschaftlicher Sicht immer Vorrang haben, und die Arbeitgeber müssen mehr in die Pflicht genommen werden.
Hungerlöhne weit unter 8,50 Euro haben trotz guter Arbeitsmarktlage in den letzten Jahren nicht zu besseren Arbeitsmarktchancen für Langzeitarbeitslose geführt. Zukünftig könnten Arbeitgeber vermehrt Langzeitarbeitslose in einem rollierenden System für höchstens sechs Monate befristet einstellen, um den Mindestlohn dauerhaft zu umgehen. Ein solcher Drehtüreffekt bedeutet heuern und feuern und belässt die Beschäftigten in Armut trotz Arbeit. Wir lehnen Niedrigstlöhne für Langzeitarbeitslose als Wettbewerbsvorteil gegenüber Arbeitsuchenden mit Mindestlohnanspruch ab. Unterbietungskonkurrenz ist kein akzeptables Instrument zur Integration in den Arbeitsmarkt. Will man den Langzeitarbeitslosen helfen, dann müssen insbesondere hochwertige Weiterbildungsmaßnahmen, die zu verwertbaren Abschlüssen und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führen, und individuelle Hilfen angeboten werden.
Der Mindestlohn ist Ausdruck einer gesellschaftspolitischen Wertehaltung darüber, was ein Mensch für seine Arbeit mindestens verdienen muss. Ausnahmen vom Mindestlohn widersprechen insofern der Idee und dem Ziel des Mindestlohns selbst.
Die Ausnahmen erhalten einen Teil des Niedriglohnsektors aufrecht, der statusbezogen ist: Jugendliche und Langzeitarbeitslose für 6 Monate. Damit werden Anreize für Lohndumping gesetzt, indem sozialversicherungspflichtige und tariflich gut bezahlte Arbeit verdrängt wird.
Grundsätzlich ist in Tarifverträgen tarifliche beziehungsweise keine geringere Bezahlung für Jugendliche und Langzeitarbeitslose vorgesehen. Die Ausnahmen können also nur in Unternehmen zur Anwendung kommen, die nicht tarifgebunden sind. Damit wird erneut eine Tür zum Lohndumping und zur Tarifflucht eröffnet, um Lohnkostenvorteile zu verschaffen. Mit diesen Ausnahmeregelungen wird das Tarifvertragssystem nicht gestärkt, sondern geschwächt und das widerspricht dem zentralen Ziel des Gesetzespakets, das Tarifvertragssystem insgesamt wieder stärken zu wollen.
Um die Umgehung vom Mindestlohn zu verhindern, ist auch die uneingeschränkte Generalunternehmerhaftung unabdingbar. Wenn ein Auftragnehmer einen Unterauftragnehmer beauftragt, muss entlang der gesamten Auftragskette sichergestellt sein, dass der Mindestlohn eingehalten wird.
Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Bundesrates, halten Sie am Ziel des Gesetzes fest: „…Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen“ und das Tarifvertragssystem zu stärken. Streichen Sie diese Ausnahmen vom Mindestlohn und schließen Sie alle Schlupflöcher. Das Lohndumping muss ein Ende haben. Denn Würde ist unteilbar!
. . . . .
Mitglieder des Bündnisses sind:
- AbL – Die bäuerliche Interessenvertretung
- ALSO Oldenburg
- Arbeiterwohlfahrt, Bundesverband e.V.
- Deutscher Bundesjugendring
- Deutscher Frauenrat
- Deutscher Gewerkschaftsbund
- Deutscher Juristinnenbund e.V. DJB Bundesgeschäftsstelle
- Erwerbslosen Forum Deutschland – Nationale Armutskonferenz in der BRD
- Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration e. V.
- Evangelische Obdachlosenhilfe in Deutschland e.V.
- Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
- Koordinierungsstelle gewerkschaftliche Arbeitslosengruppen
- Katholische Arbeitnehmer-Bewegung
- Naturfreunde Deutschland e.V.
- Sozialverband Deutschland e.V.
- Tacheles e.V.
- Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Weitere Informationen beim DGB.