EU dringt weiter auf Finanzmarkt-Deregulierung durch das EU-US-Freihandelsabkommen
2. Juli 2014 | Patrick Schreiner
Die lobbykritischen Brüsseler Organisationen CEO und SOMO haben gestern ihre Analyse eines geleakten Vorschlags der EU-Kommission in den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA vorgestellt. Anliegen des EU-Dokuments ist die Finanzmarktregulierung auf beiden Seiten des Atlantiks. Befürchtungen der TTIP-Kritiker/innen bestätigen sich: Die EU-Kommission dringt offenbar weiter auf eine Aufweichung der Regulierungsstandards im Finanzwesen.
Befragt man die EU-Verhandler/innen oder die Freihandels-Freund/innen in Union und SPD, so bestreiten sie gebetsmühlenartig, Standards senken zu wollen. Keine Seite solle gezwungen sein, Regulierungen und Normen abzubauen, verkünden sie immer wieder. Das von Corporate Europe Observatory (CEO) und dem Centre for Research on Multinational Corporations (SOMO) vorgestellte englischsprachige Dokument zeigt allerdings, dass dies mindestens für den Bereich der Finanzmarktregulierung so nicht stimmt.
Der geleakte Vorschlag der EU-Kommission zur Aufnahme des Themas der Finanzmarktregulierung in das EU-US-Freihandelsabkommens (TTIP), vorgelegt offenbar im März, hätte nach Angaben von SOMO und CEO unter anderem folgende Konsequenzen:
- Finanzmarktregulierungen würden für beide Seiten schwieriger durchzusetzen. So hat jede neue oder auch bestehende Vorschrift vernünftig und notwendig zu sein. Dies klingt harmlos, stellt aber jede Vorschrift zunächst einmal infrage. Ihre Notwendigkeit müsste gesondert und wohl auch immer wieder aufs Neue nachgewiesen werden. (Dieser Punkt war schon in früheren Dokumenten der EU-Verhandler/innen enthalten, ist also nicht neu, zeigt aber die Hartnäckigkeit der EU-Kommission in diesem Punkt. Er wurde im jüngsten EU-Dokument zudem nochmals verschärft.)
- Jede Finanzmarktregulierung würde von einem neu einzurichtenden „Gemeinsamen EU/US Regulierungs-Forum“ geprüft werden müssen. Demokratisch ist dies nicht, transparent auch nicht: Wie dieses Gremium arbeitet, welche Tests es durchführt, soll erst nach Abschluss von TTIP festgelegt werden. CEO verweist zurecht darauf, dass ein solches Gremium ein dauerhaftes Einfallstor für die Finanzlobby wäre.
- Sicher wäre, dass die USA nicht mehr – wie sie es bisher tun – in Europa agierende Töchter von US-Banken regulieren könnten. TTIP hätte dann gerade durch die wechselseitige Anerkennung von Regulierungsstandards faktisch deren Senkung zur Folge. (Auch dieser Punkt war schon in früheren Dokumenten der EU-Verhandler/innen enthalten, zeigt also einmal mehr die Hartnäckigkeit der EU-Kommission in diesem Punkt.)
- Zumindest nicht ausgeschlossen (und noch weitergehend) wäre, dass europäische Banken in den USA möglicherweise gemäß der im Bankenbereich niedrigeren EU-Standards reguliert würden. Dies würde Wettbewerbsnachteile für US-Banken mit sich bringen, die sich den höheren US-Standards unterwerfen müssten. Druck seitens der Finanzlobby, US-Standards zu senken und hierdurch die Wettbewerbsnachteile wieder wettzumachen, wäre die logische Folge.
Bei der EU-Kommission stößt die (europäische wie auch US-amerikanische) Bankenlobby mit ihren Forderungen nach Deregulierung offenbar auf offene Ohren. Dafür spricht einmal mehr auch das aktuell geleakte Dokument. Mitten in einer Finanzkrise, die im Wesentlichen durch eine völlig unzureichende Finanzmarkt-Regulierung hervorgerufen wurde, kann dies nur verwundern.
Beruhigend ist allerdings, dass EU und Bankenlobby - wie es scheint - bei den US-Verhandler/inne/n nach wie vor auf Granit beißen: Da die Standards zur Finanzmarktregulierung in den USA tendenziell höher sind als in Europa, hat man in den Staaten kein Interesse, dieses Thema in TTIP aufzunehmen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.