Gretchenfrage der Union: Abgrenzen oder anbiedern? Die CDU/CSU und ihre neue rechte Konkurrenz
28. Oktober 2014 | Sebastian Friedrich
Die jüngsten Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) lösten im bürgerlichen Lager eine Diskussion um den geeigneten Umgang mit der neuen Partei aus. Die meisten hegemonialen Tageszeitungen stehen der vermeintlichen Alternative verhalten bis ablehnend gegenüber. Selbst die konservative und marktliberale Tageszeitung Die Welt sowie das Boulevard-Blatt BILD beobachten die AfD argwöhnisch. Auch im durcheinandergewirbelten Parteienspektrum ist die AfD derzeit Topthema. Vor allem in der Union wird seit Monaten über den richtigen Kurs gegenüber der Partei um Lucke und Co. gerungen.
Innerhalb der Union lassen sich im Kern zwei Linien ausmachen. Eine u.a. von Bundeskanzlerin Merkel und Bundestagsfraktionschef Kauder ausgegebene Strategie setzt darauf, die AfD größtmöglich zu ignorieren und sie damit diskursiv zu isolieren. Merkel meinte nach den Erfolgen in Thüringen und Brandenburg, gegen die AfD helfe schlicht gutes Regieren. Kauder kündigte gar an, sich nicht mit AfD-PolitikerInnen in eine Talkshow setzen zu wollen. Beide bekräftigen regelmäßig, dass eine Koalition mit der AfD nicht in Frage komme.
Konservative setzen auf Entspannung
Zunehmend werden innerhalb der Union vor allem von VertreterInnen des konservativen Flügels Stimmen lauter, die auf eine intensive Auseinandersetzung mit der AfD setzen. So forderte der Berliner Kreis, ein Zusammenschluss konservativer CDU-Bundes- und LandespolitikerInnen, nach den Wahlen in Thüringen und Brandenburg eine stärkere inhaltliche Profilierung. In Sachen liberalkonservativer Positionen habe die Union an Anziehungskraft verloren. Die Union dürfe in Bezug auf konservative Positionen »keinen politisch-programmatischen Raum für andere Parteien lassen«. Der Berliner Kreis setzt aber nicht nur auf die Stärkung des konservativen Profils, sondern plädiert auch für einen entspannteren Umgang mit der AfD. Gelassener zeigte sich auch die sächsische CDU, die vor den Landtagswahlen in Sachsen eine Koalition mit der AfD explizit nicht ausschloss.
In der Tat: CDU-Konservative finden in letzter Zeit wieder mehr Gehör in der Öffentlichkeit. Vor allem Wolfgang Bosbach, derzeit wohl der bekannteste Politiker aus dem Berliner Kreis, tingelt von einer Talkshow zur nächsten und präsentiert sich bei Themen der inneren Sicherheit als besonnener Law-and-Order-Anpacker. Arbeitsteilig überlässt es der Berliner Kreis der CSU, gegen Einwanderung zu poltern. So nutzt Horst Seehofer seit nunmehr über einem Jahr nahezu jede Gelegenheit, um gegen sogenannte Armutszuwanderung zu wettern. Im Kampf um Stimmen von rechts holte er sogar den Rechtsaußen Peter Gauweiler aus dem parteipolitischen Niemandsland und machte ihn zum stellvertretenden Parteivorsitzenden. Nachdem auch Seehofer die AfD zunächst mit keiner Silbe erwähnt hatte, betonte er Mitte September in einem Interview mit der Welt am Sonntag, dass es in der AfD gut ausgebildete und kluge Leute gebe, was ihn anscheinend beeindruckt.
Ende September äußerte sich im Tagesspiegel am Sonntag auch Wolfgang Schäuble zum Thema AfD. Auch er setzt auf eine inhaltliche Auseinandersetzung, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er sich der Partei keineswegs anbiedern wolle. Ungewöhnlich scharf warf er der AfD vor, hemmungslos alles demagogisch zu missbrauchen, was man missbrauchen könne. Man müsse sich mit den PopulistInnen der AfD, die ihn stark an die Republikaner erinnern würden, »mit aller Entschiedenheit« auseinandersetzen. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Konrad Adam, einer der drei AfD-Parteisprecher, stellte eine Verbindung zwischen Schäubles Kritik und seiner Körperlähmung her: Schäuble sei »unter dem Eindruck dieses Attentates sehr bitter geworden«.
Das Dilemma der CDU/CSU
Das derzeitige Ringen um die richtige Strategie im Umgang mit der AfD offenbart das Dilemma, in dem sich die Union befindet. Einerseits können CDU und CSU eine etablierte Partei rechts von sich nicht dulden. Entweder belassen es die ChristdemokratInnen und Christsozialen beim Beten und hoffen, dass sich das Problem irgendwie von alleine löst − oder sie gehen in die offene Auseinandersetzung. Das könnte die AfD aber noch »sagbarer« machen und dadurch erst im Parteienspektrum etablieren. Andererseits könnte die Union nach dem immer wahrscheinlicheren Untergang der FDP derzeit nur noch mit der AfD eine klar konturierte, konservativ-liberale Politik verwirklichen, denn die einzig möglichen Koalitionspartner SPD und Grüne stehen (leicht) links von ihr. Die Merkel-Kauder-Linie scheint sich wahlstrategisch gerade eher auf Koalitionen mit Rot und Grün zu konzentrieren. Während es der notorisch regierungswilligen SPD egal sein dürfte, ob sich die Union grundsätzlich in Richtung AfD öffnet, könnte ein wahlstrategischer Rechtsschwenk, wie er teilweise vom konservativen Parteiflügel forciert wird, Koalitionsoptionen mit den Grünen ernsthaft gefährden. Die AfD zwingt eine in gesellschaftspolitischen Fragen zunehmend konturlose Union in die Auseinandersetzung um die zukünftige programmatische und strategische Ausrichtung.
Sollten die momentanen Erschütterungen die Parteienlandschaft dauerhaft umwälzen, werden diese auch Spuren im sogenannten Spektrum links der Union hinterlassen. Wenn sich die CDU/CSU tatsächlich in Richtung AfD öffnet und damit zumindest die Grünen mittel- und langfristig vergrault, werden sich rotrotgrüne Gedankenspiele auf Landes- und Bundesebene weiter konkretisieren. Die Linkspartei − aktuell mehr denn je potenzieller Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün und mehr denn je regierungswillig − wird sich in einem möglicherweise in zwei Lager aufgeteilten Parteienspektrum weiter etablieren. Ob das aus linker Perspektive erstrebenswert ist, steht auf einem anderen Blatt.
Der Artikel erschien zuerst in Analyse&Kritik (Nr. 598).
Sebastian Friedrich ist Journalist und Publizist aus Hamburg. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Sozialstaatsdiskurse, Neue Rechte, AfD, Kritische Soziale Arbeit, Diskursanalyse sowie Klassenanalyse. Als @formelfriedrich twittert er regelmäßig. Seine Homepage: sebastian-friedrich.net.