Ricard Bellera, Silvia Grünig: "In Spanien gibt es ein Bewusstsein für die Gefahren von TTIP"
18. Februar 2015 | Patrick Schreiner
Ricard Bellera I Kirchhoff und Silvia Grünig über den Widerstand gegen TTIP in Katalonien. Ricard Bellera I Kirchhof ist Gewerkschaftssekretär für Internationale Politik, Migration und Entwicklungspolitik. Er vertritt die Gewerkschaft CCOO in der katalanischen "Plattform gegen das TTIP". Silvia Grünig ist Architektin und Landschaftsplanerin; sie lehrt an der Universität von Barcelona in der Forschungsgruppe "Ausgrenzung und soziale Kontrolle". Sie ist Mitglied der "Plattform gegen das TTIP".
Wie groß ist in Katalonien der Widerstand gegen das EU-US-Freihandelsabkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) oder allgemein gegen solche Freihandelsabkommen?
Silvia Grünig: In Spanien hat der Widerstand sich erst recht spät entwickelt, dies gilt auch für Katalonien. Als die Proteste dann aber losgingen, waren sie doch recht stark und effizient. Die Risiken, die TTIP und ähnliche Freihandelsabkommen mit sich bringen, sind weiten Teilen der Bevölkerung durchaus bewusst. Die Gruppen, die sich gegen TTIP engagieren, finden Aufmerksamkeit und Interesse. In der Presse allerdings herrscht weitgehend Schweigen zu diesem Thema. Zum einen ist von den vielen Stimmen und Aktivitäten gegen das TTIP in den Medien kaum zu hören und kaum zu lesen. Zum anderen wird auch das TTIP selbst medial kaum thematisiert. Wir interpretieren das als ein Zeichen für die Gefahr, die in dem ganzen steckt.
Welche Aktivitäten entwickeln die Gegnerinnen und Gegner von TTIP?
Silvia Grünig: Die Aktionen werden durch die katalanische "Plattform gegen das TTIP" koordiniert, daran nehmen Aktivistinnen und Aktivisten ganz verschiedener Vereine und Organisationen teil. Es engagieren sich Gewerkschaften gemeinsam mit Organisationen aus der Umweltbewegung, der Frauenbewegung und anderen Verbänden sowie Einzelpersonen. Die Breite der Beteiligung zeigt, dass durchaus ein Bewusstsein für die vielfältigen Gefahren des TTIP vorhanden ist. Im Rahmen der Plattform führen wir in ganz Katalonien Bildungsaktivitäten durch, um zu vermitteln, welches die Gefahren von TTIP sind und was überhaupt TTIP ist. Auch unsere Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit greift dieses Thema auf. Und im Oktober hatten wir eine große zweitätige Konferenz zum Thema organisiert. Verschiedene Referentinnen und Referenten informierten über die Folgen von TTIP für Arbeitsrecht, Gesundheit, Landwirtschaft, Nahrung, Datenschutz und Wasserversorgung. An der Konferenz hat unter anderem auch die globalisierungskritische französische Schriftstellerin Susan George teilgenommen. Mit ihr gelang es uns, das Thema im Rahmen eines kurzen Berichts ins Fernsehen zu bringen. Das war ein großer Erfolg angesichts des Schweigens, das zu dem Thema sonst in den Medien herrscht.
Wie bringt sich die Gewerkschaft CCOO in den Widerstand gegen TTIP ein?
Ricard Bellera I Kirchhof: Wir setzen regelmäßig auf die Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen. Wir sind deshalb von Anfang an mit dabei gewesen, als die Organisation der Plattform begann. Eine unserer Maßnahmen, um über TTIP zu informieren, war zum Beispiel ein Aufruf an unsere Mitglieder des Europäischen Parlaments, sich vor den Wahlen am 25. Mai zu TTIP zu äußern. Wir haben auch verschiedene Artikel veröffentlicht, etwa in unserer rechtspolitischen Zeitschrift. Im November erschien ein Dokumentarfilm, den wir produziert hatten. Daran waren sehr verschiedene Akteure beteiligt. Wir haben auch Diskussionsveranstaltungen mit Arbeitgebern organisiert. Eine weitere Idee, an der wir gerade arbeiten, ist, Politikerinnen und Politiker mit unserem Gewerkschaftsrat diskutieren zu lassen. In diesem Gremium sitzen 150 Kolleginnen und Kollegen, darunter viele Betriebsräte. Bei Themen, die wirklich wichtig sind, versuchen wir, die entsprechenden Informationen direkt an den Rat zu bringen. Sehr engagiert gegen TTIP sind auch unsere Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Dienstes. Die haben eine eigene Veröffentlichung zu den Gefahren gemacht, die von TTIP für öffentliche Dienstleistungen ausgehen.
Was sind in den katalanischen bzw. spanischen Diskussionen die Hauptkritikpunkte an TTIP?
Silvia Grünig: Ein ganz wesentliches Problem ist sicherlich, dass multinationale Konzerne dank TTIP in noch mehr Bereichen der Sozial- und Wirtschaftspolitik faktisch ein Mitspracherecht erhalten würden. Das ist undemokratisch. Hinzu kommt, dass TTIP zahlreiche Rechte gefährden würde, die die Menschen über viele Jahrzehnte hinweg erkämpfen mussten. Ich persönlich bin überdies davon überzeugt, dass TTIP auch auf einer soziokulturellen Ebene wirken würde, und zwar dahingehend, dass es immer schwerer würde, zum Wirtschaftsmodell des Profits und der Wettbewerbsfähigkeit Alternativen zu entwickeln. Um es salopp zu sagen: Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität sind nun einmal nicht miteinander vereinbar.
Ricard Bellera I Kirchhof: Ein beliebtes Argument ist, dass TTIP Wohlstand und Wachstum bringen wird. Auch die EU-Kommission behauptet das immer wieder, sie hat ja auch entsprechende Studien in Auftrag gegeben. Alle Studien aber, die Wohlstand und Wachstum durch TTIP behaupten, basieren auf fragwürdigen ökonomischen Grundannahmen. Sobald man realitätsnähere Grundannahmen setzt, kommt man zu anderen Ergebnissen. So hat jüngst eine Studie der Tuft University in Medford (USA) gezeigt, dass TTIP voraussichtlich sogar Arbeitsplätze vernichten würde. Und wenn wir zurückblicken auf vergangene Freihandels- und Investitionsschutzabkommen, dann sehen wir durchaus deren negative Folgen für die betroffenen Länder. Man sieht einfach, dass es nicht funktioniert. Der Wohlstand wächst nicht, die Arbeitsbedingungen und die Löhne werden schlechter. Warum sollte das bei TTIP anders sein? Europa soll mit TTIP in einen noch stärkeren Wettbewerb mit einem Land treten, das sechs der acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation nicht unterzeichnet hat. Natürlich hätte das negative Auswirkungen auch auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Welche Rolle spielen für Euch die anderen Abkommen, die derzeit verhandelt werden? Jenes mit Kanada, Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA), und das Dienstleistungsabkommen Trade in Services Agreement (TISA)?
Silvia Grünig: Von CETA und TISA gehen letztlich ähnliche Gefahren aus wie von TTIP.
Möglicherweise braucht es, damit TTIP in Kraft treten kann, die Zustimmung der nationalen Parlamente. Wie stehen die Chancen, dass es gelingt, im spanischen Parlament eine Mehrheit gegen TTIP hinzubekommen?
Ricard Bellera I Kirchhof: Wir hatten bei der Europawahl zum ersten Mal die Situation, dass die Konservativen und die sozialdemokratische Partei zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen hatten. Und darum müsste es ja gehen, dass die befürwortenden Parteien zusammen weniger als die Hälfte der Sitze haben. Nur gibt es leider noch weitere Parteien, die TTIP befürworten, unter anderem auch die rechten Parteien in Katalonien und im Baskenland. Das zeigt, dass es letztlich darauf ankommt, wie sich die Sozialdemokratie verhält. Vor den Europawahlen hatten sie ein Papier veröffentlicht, in dem sie sich für TTIP aussprachen. Gestern hatten wir bei der katalanischen "Plattform gegen das TTIP" zum ersten Mal Mitglieder der spanischen Sozialdemokratie zu Gast. Wir haben eine gewisse Hoffnung, ihnen unsere Kritik nahezubringen. Wenn es uns nicht gelingt, die Debatte auch in das Innere der Sozialdemokratie zu tragen, wird es schwer sein, eine Mehrheit gegen TTIP zu bekommen. Über soziale Bewegungen können wir auf der Straße viel bewegen. Wichtig wäre aber eben auch, dass linke Parteien sich gegen TTIP positionieren. Es ist für uns absolut unverständlich, weshalb Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten überhaupt nur darüber nachdenken, dass sie TTIP befürworten könnten.
Dieser Artikel erschien zuerst in WISO-Info 4 (2014).
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.