Daniel Müller: „Mobile Beschäftigte kennen es meist nicht, dass sich jemand für sie einsetzt“
6. Mai 2015 | Patrick Schreiner
Ein Interview mit Daniel Müller, dem Vorsitzenden des Betriebsrats der Bremerhavener Lloyd-Werft. - Mobile Beschäftigte sind vor allem zur Erbringung von Dienstleistungen entsandte Beschäftigte, Saisonarbeitskräfte, Scheinselbständige sowie Beschäftigte in grenzüberschreitender Leiharbeit, die nach Deutschland kommen, um hier – meist für einen begrenzten Zeitraum – zu arbeiten. Auch auf Werften sind viele von ihnen tätig.
Daniel, Du bist Betriebsratsvorsitzender der Lloyd-Werft in Bremerhaven. Wie viele Mitarbeiter/innen sind dort fest beschäftigt? Wie viele mobile Beschäftigte sind dort über Werkverträge, Leiharbeit oder sonst wie tätig?
Müller: Es arbeiten derzeit 392 festbeschäftigte Kolleginnen und Kollegen bei der Lloyd Werft, davon 33 Auszubildende. Aktuell sind zusätzlich 112 Kolleginnen und Kollegen in Arbeitnehmerüberlassung und 749 über Werkverträge auf der Lloyd Werft tätig. Viele der über Werkverträge Beschäftigten sind mobile Beschäftigte.
Schwankt die Zahl der mobilen Beschäftigten in eurem Betrieb stark?
Müller: Ja, die Zahl schwankt stark. Je nach Auftragslage waren in diesem Jahr bis zu 1.000 Beschäftigte über Werkverträge auf der Lloyd Werft beschäftigt.
Welche Arbeiten und Tätigkeiten erledigen die Werkvertragsbeschäftigten bei Euch?
Müller: Sie erledigen eine Vielzahl an Arbeiten. Angefangen mit Arbeiten wie zum Beispiel Strahl-, Korrosionsschutz- und Malerarbeiten, dann Reinigungstätigkeiten aller Art, Inneneinrichtungsarbeiten an Bord sowie Gerüstbau. Wenn unsere eigenen Kapazitäten ausgelastet sind, werden sogar auch ganze Auftragspakete als Werkvertrag vergeben, zum Beispiel im Rohrbau oder im Schiffbau.
Aus welchen Ländern kommen die mobilen Beschäftigten bei euch überwiegend?
Müller: Überwiegend kommen sie aus Bulgarien, Rumänien, Polen und der Türkei.
Handelt es sich bei den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern auf der Lloyd Werft ebenfalls um mobile Beschäftigte, also um Menschen, die aus dem Ausland für eine gewisse Zeit (oder mit der Hoffnung auf einen dauerhaften Aufenthalt) nach Deutschland kommen?
Müller: Nein, das kann ich so nicht feststellen. Ich gehe davon aus, dass im Leiharbeitsverhältnis hauptsächlich Beschäftigte arbeiten, die ihren Lebensmittelpunkt bereits in der Region haben. Es gibt aber sicherlich auch Ausnahmen.
Habt Ihr Kenntnisse über die Firmen, bei denen die Werkvertrags-Beschäftigten angestellt sind?
Müller: Wir arbeiten daran, Kenntnisse über jede Firma zu bekommen, die auf der Werft beschäftigt ist. Das gestaltet sich aber teilweise schwierig, auch, weil da Aufträge auch noch an weitere Sub-Sub-Unternehmen untervergeben werden.
Welche Probleme haben mobile Beschäftigte deiner Erfahrung nach?
Müller: Durch fehlende Sprach- und Rechtskenntnisse sind sie von den Arbeitgebern und deren Vertretern sehr abhängig. Durch diese fehlenden Kenntnisse kann es schnell zu einem Missbrauch kommen, indem soziale Mindeststandards und gesetzliche Vorgaben nicht beachtet und den mobilen Arbeitnehmern vorenthalten werden. Die mobilen Arbeitnehmer kennen meistens nicht die sozialen Mindeststandards, die in Deutschland gültig sind. Hierzu zählen ein rechtmäßiger Arbeitsvertrag, Mindestlohn, die Einhaltung von Vorschriften des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, eine menschenwürdige Unterkunft, Versicherung bei Krankheit und Unfällen, Urlaubsansprüche, die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, die Bezahlung von Überstunden und so weiter.
Kannst du einschätzen, welches Ausmaß das Unterschreiten sozialer Mindeststandards und das Verletzen gesetzlicher Vorschriften gegenüber mobilen Beschäftigten annimmt?
Müller: Wir müssen davon ausgehen, dass das Ausmaß erschreckend und viel größer ist, als bisher bekannt oder vermutet. Es scheint eine systematische Ausbeutung mobiler Beschäftigter stattzufinden, die besonders durch fehlende Sprach- und Rechtskenntnisse begünstigt wird.
Kommen mobile Beschäftigte mit ihren Problemen auf euch als Betriebsrat zu? Was könnt Ihr für sie tun?
Müller: Leider bisher selten. Wir haben für diese Problematik auch einen Ausschuss für Leiharbeit und Werkverträge gegründet, um zusätzliche Kapazitäten bereitzustellen. Wir sind aktiv im Betrieb unterwegs. Wir haben schon Aufklärungsaktionen durchgeführt und planen weitere Aktionen, um den mobilen Beschäftigten zu zeigen, dass es eine vertrauenswürdige Anlaufstelle im Betrieb gibt, die sich ernsthaft mit den Problemen beschäftigt und versucht, diese zu lösen. Ich denke, da liegt noch viel Arbeit vor uns. Es ist schwer, Vertrauen aufzubauen, natürlich besonders durch die fehlenden Sprachkenntnisse. Die meisten mobilen Beschäftigten kennen keinen Betriebsrat und haben nicht erlebt, dass sich jemand für sie einsetzt. Dazu kommt die Abhängigkeit von Dritten in einem fremden Land und die Angst vor den Arbeitgebern, die mit Kündigung oder anderen unrechtmäßigen Maßnahmen drohen. Eine Erfahrung machen wir übrigens immer wieder: Wir haben im Betriebsratsgremium einen Kollegen mit Migrationshintergrund. Ihm gelingt es schneller und besser, mit den mobilen Beschäftigten in Kontakt zu kommen.
Welche Rechte bräuchten Betriebsräte, um sich stärker für die Anliegen der Werkvertragsbeschäftigten einsetzen zu können?
Müller: Die Betriebsräte benötigen unbedingt Mitbestimmungsrechte bei Werkverträgen. Es sollten vom Betriebsverfassungsgesetz keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Arbeitnehmergruppen gemacht werden. Das Betriebsverfassungsgesetz sollte zudem dahingehend ergänzt werden, dass die Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmer und Werkvertragsbeschäftigte in einem Betrieb die gleichen Rechte haben.
In Oldenburg, Hannover, Braunschweig, Hamburg und anderen deutschen Städten gibt es Beratungsstellen für mobile Beschäftigte. Dort werden diese Arbeitnehmer/innen in ihrer Herkunftssprache informiert und betreut – etwa auch beim Gang zu Behörden, zu Anwälten und vor Gericht. Wie könnte eine solche Beratungsstelle eure Arbeit als Betriebsrat unterstützen?
Müller: Eine mehrsprachige Beratungsstelle für mobile Arbeitnehmer wäre eine enorme Unterstützung für unsere Betriebsratsarbeit. Eine Beratungsstelle wäre die Basis, um einen möglichen Missbrauch von Werkverträgen durch fehlende Rechts- und Sprachkenntnisse zu unterbinden bzw. vorzubeugen. Die mobilen Arbeitnehmer werden dort arbeits- und sozialrechtlich beraten und betreut. Der Betriebsrat könnte durch mehrsprachige Flugblätter auf die Beratungsstelle aufmerksam machen. In Zusammenarbeit mit einer Beratungsstelle könnten wir die Probleme der mobilen Arbeitnehmer viel effektiver angehen und lösen.
Dieser Artikel beruht auf einer Broschüre des DGB-Bezirks Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt zum Thema mobile Beschäftigte bzw. temporäre Arbeitsmigration mit dem Titel "Gleiche Arbeit - Gleiche Rechte?".
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.