Rezension
Rezension: Der Aufstieg der AfD
12. Mai 2015 | Patrick Schreiner
Mit der "Alternative für Deutschland" könnte es der bundesrepublikanischen Rechten erstmals gelingen, dauerhaft ein Parteiprojekt rechts von CDU/CSU zu etablieren. In mittlerweile fünf Landesparlamenten sowie im Europaparlament ist sie vertreten, seit den Wahlen in Hamburg und Bremen auch in Westdeutschland. Ein Ende scheint derzeit nicht absehbar. In seinem kleinen Büchlein "Der Aufstieg der AfD" beschreibt der Sozialwissenschaftler Sebastian Friedrich die Ideologie(n) und die Geschichte der Partei.
Die Gründe für den Erfolg der AfD sind vielfältig: Eine gewisse Unterstützung einiger Fraktionen des Kapitals sind hier zu nennen, ferner eine geschickte Themenwahl in den ersten Monaten ("Eurokrise") sowie politisches Personal, das auch in bürgerlichen Krisen vorzeigbar ist (allen voran der Wirtschaftsprofessor und Parteichef Bernd Lucke sowie der Ex-Industrieverbandschef Hans-Olaf Henkel). Auch das (vorübergehende?) Schwächeln der FDP und eine in Teilen modernisierte Gesellschaftspolitik der Merkel-CDU mag bürgerliche Wählerinnen und Wähler in die Arme von Lucke und Co. getrieben haben.
Zentral für den Erfolg der AfD aber war und ist noch ein Weiteres, nämlich das nicht ganz reibungslose, aber doch lange funktionierende Miteinander von "National-Neoliberalen" und Nationalkonservativen. Anders als zu Gründungszeiten, so macht Friedrich deutlich, gibt es heute keinen nennenswerten liberalen Flügel im eigentlichen Sinne mehr. Die AfD hat sich nach rechts bewegt, auch indem sie Mitglieder extrem rechter Kleinparteien aufgenommen hat, allen voran jene der islamophoben Partei "Die Freiheit", während liberale Mitglieder die Partei verließen. (Mit einigen dieser Liberalen hat Friedrich gesprochen, ihre Einschätzungen lässt er an verschiedenen Stellen einfließen – eine Stärke des Buches.) Die verbleibenden Neoliberalen mit nationalistischer Ausrichtung, von Friedrich als "National-Neoliberale" bezeichnet, und die rechtskonservativen Parteimitglieder bilden dabei mehr als ein Zweckbündnis: "War die AfD als Reaktion auf die Krise der Rechtskonservativen wie auch der National-Neoliberalen entstanden, so hat sich mittlerweile eine neue Dynamik entfaltet, in der alte Bündnisse von neuen abgelöst wurden, und die mit statischen Begriffen nicht erfasst werden kann."
Damit zeigt die AfD beispielhaft, dass und wie Neoliberalismus mit Rechtskonservatismus und Nationalismus vereinbar ist. Parteichef Lucke scheint in diesem Kontext eine Scharnierfunktion einzunehmen: Einerseits ist er als knallharter Neoliberaler bekannt, dies war er auch schon vor Gründung der Partei. Andererseits nimmt er eine integrative Rolle nach rechts ein, indem er durch entsprechende Äußerungen beispielsweise über den Islam oder über Homosexualität Themen und Anliegen der Rechtsaußen-Parteimitglieder aufgreift und legitimiert. Er ist ohnehin von Beginn an einer der Befürworter der Öffnung der Partei nach rechts gewesen. Sein aktuelles Warnen vor Radikalen in der Partei sollte hierüber nicht hinwegtäuschen.
Friedrich schlägt für dieses ideologieübergreifende Spektrum den zusammenfassenden Begriff des "Neokonservatismus" vor. Er ermögliche es, "die beiden zentralen Dimensionen der AfD einzufangen. Ökonomisch wird eine stärker an den deutschen Interessen ausgerichtete Spielart des Neoliberalismus gefordert. Moralisch sollen die gesellschaftlichen Modernisierungen rückgängig gemacht werden." Nicht das Trennende, sondern das Verbindende zwischen zwei nur scheinbar gegensätzlichen Strömungen in der Partei soll damit erfasst werden. Dieser analytische Zugriff ist zugleich politisch motiviert: Die Gefahr, die von der AfD ausgeht, liegt in Friedrichs Augen gerade darin, dass es ihr bislang gelingt, verschiedene Anliegen und Themen verschiedenster rechter und extrem rechter Strömungen und Ideologien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Der anhaltende, medial breitgetretene Flügelstreit sollte hierüber nicht hinwegtäuschen. Flügelübergreifend Verbindendes gefunden und ein Auskommen miteinander entwickelt zu haben, unterscheidet die AfD von anderen rechten Parteien – und macht sie auch für Bürgerliche wählbar.
Der Gedanke, dass die AfD als Bündnis heterogener Strömungen und Ideologien der Rechten zu verstehen sei, bildet auch die Grundlage für den Aufbau des Buches. Friedrich schildert zunächst die aktuelle Krise des Konservatismus wie auch des National-Neoliberalismus, um anschließend zu zeigen, wie die AfD als gemeinsamer Versuch gestartet wurde, um diesen Krisen zu entkommen. Er beschreibt anschließend, wie die Partei nach einem politisch-ideologisch nach außen gemäßigten Start mehr und mehr nach rechts rückte. Dabei ist nicht zuletzt die Frage von Bedeutung, wer die Wählerinnen und Wähler sowie die (finanziellen und medialen) Unterstützerinnen und Unterstützer der Partei sind. Das Buch endet schließlich mit konzeptionellen Überlegungen zur oben genannten Frage, inwiefern die AfD als Teil eines "neokonservativen Hegemonieprojekts" zu verstehen sei.
Sebastian Friedrich hat eine gelungene, gut lesbare Einführung in die Ideologie und Geschichte der selbsternannten "Alternative für Deutschland" geschrieben. Ein wenig mehr Beispiele und Zitate zur Veranschaulichung hätten die Verständlichkeit zwar gewiss noch erhöht – nichtsdestotrotz kann das Büchlein all jenen empfohlen werden, die sich über diese Partei kurz und kompakt informieren möchten. Nicht zuletzt angesichts der derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen den Flügeln bietet es einige interessante Einblicke.
Die Rezension erschien in einer früheren Fassung zuerst in analyse & kritik 603 (2015). Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Bibliografische Angaben
Sebastian Friedrich: Der Aufstieg der AfD. Neokonservative Mobilmachung in Deutschland. Berlin: Verlag Bertz+Fischer. ISBN 978-3-86505-731-0, 109 Seiten, 7,90 Euro.
Weitere Informationen: Der Aufstieg der AfD
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.