Pegida: Wieder mal die Rettung des Abendlandes
4. März 2015 | Florian Finkbeiner
Auch wenn es mit Pegida nun vorbei ist, scheint die Analyse des Phänomens noch lange nicht abgeschlossen. Ein prominenter Bezugspunkt der Bewegung vor allem in Dresden war der Begriff des Abendlandes, welcher in der deutschen Geschichte über eine lange Tradition verfügt. Der Begriff „Abendland“ als Baustein zur Konstruktion (politischer) Identität vor allem konservativer Gruppen existierte schon Ende des 18. Jahrhunderts und richtete sich ursprünglich vor allem gegen die Ideen der Französischen Revolution. Seine Blütezeit erhielt der Begriff aber durch Oswald Spenglers folgenreiches Buch „Der Untergang des Abendlandes“ von 1918.
Schon im Titel von Spenglers Werk wird durch die Verbindung mit dem Untergangsbegriff die Perspektive einer elementaren Bedrohung eröffnet, welche Züge einer eschatologischen Opposition des Kampfs zwischen Gut und Böse trägt. Spengler beschrieb mit der Formel des Untergangs des Abendlandes einen grundlegenden Kulturwandel, da das „Preußentum“ eine „cäsaristische Spätblüte“ erfahre.[1]
Das Besondere an Spenglers Konzept war, dass es zwar als Kritik am Preußentum gedacht war, inhaltlich aber weitgehend unbestimmt blieb, was eine „abendländische Kultur“ sei. Es konnte so von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen – von den Konservativen, den Nationalliberalen wie von den Nationalsozialisten gleichermaßen - mit völlig unterschiedlichen Inhalten gefüllt werÂden und wurde so gesellschaftlich anschlussfähig als Ausdruck einer Besinnung und zugleich einer Erneuerung.
Allgemein festzuhalten ist, dass das Abendland ein in katholischer Tradition stehendes Modell ist, das eine Vision eiÂner ständisch-subsidiär organisierten europäischen Gesellschaft entwirft und dies mit weiteren antiÂmodernen Elementen kombiniert. Diese Ordnungsvorstellung verband Antikommunismus mit der Ablehnung einer amerikanischen „Hegemonie“ über den europäischen Kontinent. Die Besinnung auf dieses Abendland wurde gerade im Zweiten Weltkrieg zu einem „tröstlichen Refugium für die christlich inspirierte innere Emigration“.[2] Gerade dadurch war das abendländische Pathos bis Ende der fünfziger Jahre in der westdeutschen Gesellschaft dermaßen präsent und anschlussfähig für unterschiedliche Strömungen. Auch Konrad Adenauer bezog sich auf das Abendland, vor allem um seinen Kurs der Westbindungspolitik zu legitimieren, da es galt, Europa zu einigen, um ein „Bollwerk“ des christlichen Abendlandes gegen den Bolschewismus zu errichten.
Der Antikommunismus ermöglichte es in der Nachkriegszeit, das bürgerliche Lager in der BRD zu sammeln. Dabei wurde bewusst in Kauf genommen, ebenso antidemokratische und antimoderne Strömungen zu integrieren, solange diese sich dem Primat der Westbindungspolitik unterordneten. Dadurch konnten sie in Teilen ihren Kulturdünkel vorerst beibehalten, bis dieser Haltung Ende der 1950er Jahre die gesellschaftliche Grundlage durch die zunehmende Liberalisierung im Zuge des Wirtschaftswachstums entzogen wurde.
Diese Entwicklung lässt sich vor allem an der „Abendländischen Bewegung“ beobachten. Die Abendländer waren ein überwiegend katholisch-konservativer und vor allem elitärer Kreis, der sich von 1946 bis Anfang der 1960er Jahre um die Zeitschrift „Neues Abendland“ und die „Abendländische Akademie“ versammelte. Sie fungierten als Sprachrohr des katholisch-konservativen Milieus in der Nachkriegszeit, lehnten in großen Teilen die Idee des Fortschritts ab und strebten nach einer autoritär-hierarchischen Staats- und Gesellschaftsordnung. Ihre abendländische Idee hieß: „Die Erneuerung des Abendlandes wird eine Erneuerung des Reiches sein“.[3] Ihren Höhepunkt erreichte die Bewegung, als Bundesaußenminister Heinrich von Brentano, der damals Kuratoriumsmitglied der Abendländischen Akademie war, die Hauptrede bei der Jahrtausendfeier der Schlacht auf dem Lechfeld 955 hielt. In seiner Ansprache vor 60.000 Gläubigen am 10. Juli 1955 im Augsburger Rosenau-Stadion erinnerte er an die Parallelen zwischen der Ungarnschlacht von vor tausend Jahren und der aktuellen Lage, in der die „Massen des Ostens“ vor den „Toren des Abendlandes“ stehen würden.[4]
Durch derartige polarisierte Positionen geriet die Bewegung Anfang der 1960er Jahre vor dem Hintergrund der fortschreitenden Liberalisierung in die Defensive. Die abendländischen Konservativen lösten sich von ihren antimodernen und „unzeitgemäßen“ Positionen, wobei ihr konservativer weltanschaulicher Kern blieb. Doch fand der Begriff „Abendland“ in der Wirtschaftskrise in den 1970er Jahren und nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren ebenso wieder Verwendung – wenn auch wieder anders gelagert und inhaltlich unbestimmt.
Die zugegeben kursorische historische Analyse zeigt: Die Rückbesinnung auf eine positiv konnotierte Tradition des Abendlandes dient gerade in Zeiten einer unbestimmten, aber intensiv wahrgenommenen Krise als Antwort auf die Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels für die individuelle und kollektive Identität. Es ist dabei unerheblich, dass der einer Krise gegenüber gestellte vermeintliche historische Idealzustand weitgehend unkonkret bleibt, fungiert die Bezugnahme auf das Abendland doch vielmehr schlicht als Chiffre zur Konstruktion kultureller Überlegenheitsgefühle und damit der Erneuerung kollektiver Identität.
Auch im Fall von Pegida antwortet die weitgehend diffuse, doch prominente Bezugnahme auf das Abendland auf eine intensive Krisen-Wahrnehmung. Sie stiftet die Grundlage einer positiven kollektiven Abgrenzung von gesellschaftlicher Marginalisierung, kultureller Fragmentierung sowie politischer Desintegration – wie sie in Ostdeutschland, vor allem aber in Sachsen zu finden sind.[5] Dabei spiegelt die Popularität des Begriffs das starke Bedürfnis nach kollektiver Identität. Insofern mag die Pegida-Bewegung an ihr Ende gekommen sein, die gesellschaftlichen Probleme sind damit aber noch lange nicht gelöst.
Der Artikel erschien zuerst im Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
[1] Vgl. Spengler, Oswald (1963): Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, vollständige Ausgabe in einem Band, 1918/1920, München.
[2] Faber, Richard (1979): Abendland. Ein „politischer Kampfbegriff“, Hildesheim, S. 133.
[3] Ibach, Helmut (1953): Oradour und das Reich, in: Neues Abendland, Jg. 8 (1953), S. 177-178, hier S. 177.
[4] Vgl. Abendland, die missionäre Monarchie, in: Der Spiegel, Nr. 33/1955, S. 12-14.
[5] Vgl. Walter, Franz (2015): Pegida in den Trümmern des einst „roten Sachsen“, online unter: http://www.demokratie-goettingen.de/blog/pegida-in-den-truemmern-des-einst-roten-sachsen (eingesehen am 25.02.2015).
Florian Finkbeiner arbeitet am Göttinger Institut für Demokratieforschung.