Aufarbeitung der Finanzkrise: Sind Bankvorstände strafrechtlich etwa doch zu fassen?
16. Juni 2015 | Dani Parthum
Die deutsche Justiz tut sich schwer, die kriminellen Verfehlungen von Großbankern, die mitverantwortlich sind für die seit acht Jahren grassierende Finanzkrise und ihre Milliardenschäden, strafrechtlich aufzuarbeiten. Zwar ermitteln Staatsanwälte bundesweit hartnäckig gegen amtierende und frühere Bankvorstände und klagen sie an. Die Strafgerichte aber zogen bisher nur einmal einen Geldmanager im Namen des Volkes für sein Verhalten im Zusammenhang mit der Finanzkrise zur Verantwortung. Mit dem Urteil im Sal.-Oppenheim-Prozess könnte sich das ändern. Das Urteil wird für diesen Monat (Juni 2015) erwartet.
Der einzige Bankmanager, der bisher für Verfehlungen im Zusammenhang mit der Finanzkrise verurteilt wurde, ist der frühere Vorstandssprecher der Mittelstandsbank IKB, Stefan Ortseifen. Seine milde Strafe: Haft auf Bewährung und 100.000 Euro Geldbuße. Die Richter des Landgerichts Düsseldorf wiesen dem Topbanker vorsätzliche Marktmanipulationen im Juli 2007 nach, um die IKB-Aktie zu stabilisieren. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil im Juli 2011 (Az.: 3 StR 506/10).
Bei zwei weiteren Klagen gegen die Hochfinanz wegen schwerer Untreue im Vorfeld der Finanzkrise stellten die Wirtschaftsstrafkammern der Landgerichte die Verfahren ein. In einem dritten Untreue-Prozess wurden die Ex-Bankvorstände freigesprochen.
Zum einen stellte das Landgericht Stuttgart im April 2014 den Prozess gegen sieben amtierende und ehemalige Vorstände der Landesbank Baden-Württemberg - darunter Ex-Vorstandschef Siegfried Jaschinski - nach kaum zwei Monaten gegen Geldauflagen von bis zu 50.000 Euro ein. Sie sollten die Bilanz gefälscht und die prekäre Lage der LBBW 2005, 2006 und auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008 verschleiert haben. Die 14. Große Strafkammer befand: Die Bankenaufsicht habe hier versagt, nicht die Bankvorstände (Az.: 14 KLs 151 Js 97163/08).
Auch am Landgericht München obsiegten die Banker. Dort standen von Januar bis August 2014 ebenfalls sieben amtierende und frühere Vorstände der Bayerischen Landesbank wegen schwerer Untreue beim Kauf der österreichischen Landesbank Hypo Alpe Adria 2007 vor Gericht. Unter ihnen Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken. Die Untreue-Vorwürfe bestätigten sich nach Ansicht der 6. Wirtschaftsstrafkammer aber nicht; es fehle an Beweisen, hieß es hier zur Begründung. Wieder flossen Geldbeträge von bis zu 50.000 Euro für die Einstellung des Verfahrens.
In einem dritten Strafprozess wurden die angeklagten sechs Ex-Banker ebenfalls strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen. Vor dem Landgericht Hamburg war die Vorstandsriege der HSH Nordbank des Jahres 2007 wegen schwerer Untreue im Fall des Finanzgeschäfts „Omega55“ angeklagt, zwei Manager zudem wegen Bilanzfälschung, darunter der umstrittene Mathematikprofessor Dirk Jens Nonnenmacher. Die 8. Große Strafkammer sprach die Manager nach einjähriger Verhandlung überraschend frei. Nicht, weil Beweise fehlten oder jemand anderes Schuld hatte. Vielmehr sah es die Strafkammer als erwiesen an, dass die Sechs ihre Pflichten als Geschäftsleiter mindestens bedingt vorsätzlich verletzt hatten, als sie „Omega55“ Ende 2007 genehmigten und deswegen einen Millionen-Schaden verursachten. Die Richter bejahten im Urteil damit alle Untreue-Tatbestände. Und obwohl diese hohe rechtliche Hürde genommen wurde, erging das Urteil Freispruch (Az.: 608 KLs 12/11, 5550 Js 4/09).
Die Strafkammer begründete ihre Freisprüche mit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus 2010. Danach müssten Pflichtverletzungen von Managern evident und gravierend sein, um sie zu ahnden (Stichwort: Business Judgement Rule). Die Pflichtverletzungen der Ex-HSH-Vorstände ordneten die Hamburger Richter als „nicht evident“ und „nicht gravierend“ ein. (Die Bilanzfälschung taten sie als „unerhebliche Abweichung“ ab.) Eine irritierende Begründung angesichts der erschütternden Erkenntnisse aus dem Prozess. So war „Omega 55“ für die HSH Ende 2007 ein wirtschaftlich nutzloses, teures und riskantes Geschäft. Die Bank vernachlässigte aufsichtsrechtliche Vorgaben, es gab kein angemessenes Risikomanagment und -controlling, die Bankenaufsicht war nicht informiert, es fehlten Prüf-, Abstimmungs-, Bewertungs- und Kontrollroutinen. Die Vorstände hätten „Omega 55“ auf nicht informierter Basis unterschrieben, befanden deshalb die Richter folgerichtig.
Bernd Schünemann, emeritierter Rechtsprofessor der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hat als einer der wenigen diese Argumentation des Hamburger Landgerichts öffentlich kritisiert. „Das Argument, dass eine Pflichtverletzung gravierend sein muss, ist eine Floskel, die der Bundesgerichtshof längst mit Recht verworfen hatte und die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 wiederbelebt hat.“ Sie gebe Richtern einen Freibrief zum Freispruch. Schünemann selbst war einer der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht, das 2010 zu dem umstrittenen Rechtsmaßstab führte. Nachzulesen ist Schünemanns Kritik ausführlich in meinem Buch über den HSH-Prozess (weitere Informationen dazu: siehe unten).
Weil die Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof Revision gegen die Freisprüche im HSH-Prozess einlegte, hängt das Urteil an einem „seidenen Faden“, schreibt der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate im Vorwort dieses Prozesstagebuches. Strate erwartet, dass „der BGH den Handlungsrahmen für leitende Manager von Banken (und Aktiengesellschaften) neu absteckt, jedenfalls präzisiert.“ Die Entscheidung könnte Anfang 2016 fallen.
Dieser BGH-Entscheidung wird die 16. Große Strafkammer des Landgerichtes Köln bei einem ähnlichen Delikt aber zuvor kommen. Voraussichtlich in diesem Monat (Juni 2015) wird die Strafkammer ihr Urteil fällen – über das frühere Führungsquartett der Privatbank Sal. Oppenheim (Az.: 116 KLs 2/12). Vier Ex-Banker der Privatbank sind wegen schwerer Untreue beim Abschluss fragwürdiger Immobiliengeschäfte angeklagt. In ihrer vorläufigen Würdigung Anfang dieses Jahres ließ die Vorsitzende Richterin durchblicken, dass sie die Angeklagten für schuldig hält, heißt es auf dem Rechtsportal www.juve.de. Die Manager sollen Kontrollmechanismen nachlässig ausgeübt und Risiken nicht abgewogen haben und damit der Privatbank einen Schaden von 145 Millionen Euro zugefügt zu haben. Die Staatsanwaltschaft fordert für alle Topbanker Gefängnis.
Die Begründung des Urteils im Sal.-Oppenheim-Prozess ist vor dem Hintergrund der Freisprüche der früheren HSH Vorstände von besonderem Interesse. Denn die strafrechtlichen Vorwürfe ähneln denen im HSH-Verfahren. Bei beiden geht es um gemeinschaftlich begangene Untreue und riskante Vorstandsentscheidungen auf unzureichender Informationsgrundlage. Juristen erwarten deshalb das Sal-Oppenheim-Urteil mit Spannung – genau wie die Entscheidung des BGHs im Fall der HSH-Freisprüche.
Denn zwei weitere bedeutende Strafverfahren gegen frühere Bankvorstände wegen schwerer Untreue im Vorfeld der Finanzkrise sind absehbar. Voraussichtlich ab Herbst 2015 müssen sich drei ehemalige Vorstände der Sachsen LB vor dem Landgericht Leipzig Untreue-Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Kreditersatzgeschäft der Landesbank stellen (Az.: 15 KLs 209 Js 45700/07). Und nach sechsjährigen Ermittlungen hat im September 2014 die Münchner Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Ex-Vorstandsvorsitzenden der Hypo Real Estate, Georg Funke, und sieben weitere ehemalige HRE-Vorstände wegen Bilanzfälschung des Abschlusses 2007 und dem Zwischenabschluss zum 30. Juni 2008 erhoben. Ein Strafverfahren, das viel Aufsehen erregen wird, denn der Bund hat die HRE vor der Pleite bewahrt und ihr 2010 Schulden von mehr als 180 Milliarden (!) Euro durch eine „Bad Bank“ abgenommen, für die die Steuerzahler gerade stehen.
Die Autorin Dani Parthum hat ein Buch zum eben erwähnten Prozess gegen frühere HSH-Nordbank-Manager geschrieben, eines der bisher spektakulärsten Strafverfahren gegen deutsche Pleite- und Skandalbanker: „DR. NO und die Unschuldigen“. Es ist das erste Mal, dass ein Wirtschaftsstrafprozess lückenlos dokumentiert ist, inklusive ausführlicher Urteilsanalyse und der originalen "Omega"-Vorstandsvorlage. „DR. NO und die Unschuldigen“ ist bei BoD und epubli erschienen. Hardcover €26,99, eBook €16,99. Webseite: http://drnounddieunschuldigen.de.
Dani Parthum ist Wirtschaftsjournalistin und Diplom-Ökonomin.