Neue Schlacht im Kampf um Arbeitsrechte in Griechenland
17. Dezember 2015 | Georg Brzoska
Der Kampf um die Arbeitsverhältnisse geht in eine neue Runde. Der “Konsultationsprozess” zum griechischen Arbeitsrecht, der im dritten Memorandum festgelegt wurde, hat gerade begonnen.
Wie hat die Troika die griechischen Lohnabhängigen in die Knie gezwungen?
Die Senkung der Löhne konnte wesentlich dadurch durchgesetzt werden, dass das Tarifvertragssystem radikal verändert wurde. Das Günstigkeitsprinzip und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen wurden abgeschafft. Eingeführt wurde ein Recht von nicht-gewerkschaftlichen Vertretungen, betriebliche Tarifverträge abzuschließen. Das führte dazu, dass 70 Prozent der Tarifverträge von nicht-gewerkschaftlichen Vertretungen abgeschlossen werden. All dies hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO immer wieder kritisiert. Vor der Krise war die Tarifbindung sehr hoch. Heute gilt nur noch für wenige abhängig Arbeitende ein Flächentarifvertrag (siehe Tarifsystem Griechenland, Friedrich-Ebert-Stiftung, September 2015).
Der im Memorandum festgeschriebene Konsultationsprozess hat in dieser Woche begonnen. Er soll von “unabhängigen” Sachverständigen geführt werden. Er soll unter Berücksichtigung europäischer und internationaler Erfahrungen unter anderem prüfen: Massenentlassungen, Arbeitskampfmaßnahmen und Tarifverträge. Alle Beschlüsse und Entscheidungen sollen mit der Quadriga (Troika plus Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM) abgestimmt werden.
Im Moment wird zwischen der griechischen Regierung und der Quadriga darüber verhandelt, wer die “unabhängigen Sachverständigen” sein sollen, die den Konsultationsprozess führen. Natürlich will die Quadriga nur neoliberal gesinnte Personen in diesem Gremium sehen. Jeder Sachverständige, der den Gewerkschaften nahe steht, ist für die Vertreter der Quadriga ein rotes Tuch.
Dieser Streit wird im europäischen Versuchslabor Griechenland ausgefochten werden. Die Streitkräfte sind europäische Akteure. Die europäischen Institutionen und der Internationale Währungsfonds, Technokraten des Kapitals, haben sich schon lange gut vorbereitet. Wie sieht es mit den Vertretern der arbeitenden Menschen, den Gewerkschaften aus?
Seit Jahren gebrauchen wir immer wieder die Metapher des Versuchslabors für das, was die Troika in Griechenland anrichtete. Die Länder, die Troikakredite erhielten, sind in diesem Bild die Versuchskaninchen. Die europäische Reaktion probierte (und probiert weiterhin) an dem kleinen Land aus, wie man Löhne senken und die sozialen Leistungen schleifen kann. In Griechenland wurden die Löhne und Gehälter seit 2010 um ca. 30 Prozent gesenkt.
Vor allem eine Botschaft sollte klar sein: Es geht nicht um die griechischen Arbeitsverhältnisse, es geht um die europäische Arbeit!
Für Griechenland sollte die Forderung sein: Die Zerschlagung des griechischen Tarifvertragssystem muss rückgängig gemacht werden!
. . . . .
Die den “Konsultationsprozess” betreffende Passage des Memorandums vom August 2015 lautet:
4.1.
Prüfung der Arbeitsmarktinstitutionen.
Die Regierung wird bis Oktober 2015 einen von unabhängigen Sachverständigen geführten Konsultationsprozess einleiten, um unter Berücksichtigung von auf internationaler und europäischer Ebene bewährten Verfahren eine Reihe bestehender Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu prüfen, darunter Massenentlassungen, Arbeitskampfmaßnahmen und Tarifverhandlungen. Weitere Beiträge zum vorstehend beschriebenen Konsultationsprozess werden internationale Organisationen, darunter die ILO, leisten. Die Organisation, Vorgaben und Zeitpläne sind mit den Institutionen zu vereinbaren. Nach Abschluss des Prüfungsprozesses werden die Behörden die Rahmen für Massenentlassungen und Arbeitskampfmaßnahmen sowie das Tarifverhandlungssystem an die in der EU geltenden bewährten Verfahren anpassen. Vor Abschluss der Prüfung werden keine Änderungen an dem gegenwärtigen Rahmen für Tarifverhandlungen vorgenommen. Bei den auf dem Arbeitsmarkt zu ergreifenden Maßnahmen sollte es keine Rückkehr zu den politischen Vorgaben der Vergangenheit geben, die nicht mit den Zielen der Förderung von nachhaltigem und integrativem Wachstum vereinbar sind.
[Ganzes Memorandum]
Der Artikel erschien zuerst auf griechenlandsoli.com. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Georg Brzoska ist Diplomsoziologe und lebt in Berlin.