Andrej Holm: „Die Zeche für das Versagen von Markt und Staat zahlen die Mieter“
24. März 2016 | Patrick Schreiner
Andrej Holm über Wohnraum-Versorgung und Wohnraum-Mangel in Deutschland. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gentrification, Wohnungspolitik im internationalen Vergleich und Europäische Stadtpolitik.
Was sind die wesentlichen Gründe dafür, dass es in bestimmten Metropolen
und Regionen in Deutschland heute einen Wohnraum-Mangel gibt?
Andrej Holm: Die in einigen Städte drohende Wohnungsnot hat verschiedene Ursachen. Neben demografischen Effekten, den starken Wanderungsgewinnen mancher Städte in den letzten Jahren, sind es vor allem ökonomische und politische Ursachen, die zur aktuellen Problemlage geführt haben. Es wäre zu einfach, den Mangel an Wohnungen auf das Missverhältnis zwischen starkem Bevölkerungswachstum und stagnierender oder sogar rückläufiger Bautätigkeit zu verkürzen. Eine Ursache ist offensichtlich, dass Investitionen in den Neubau für einen Großteil der privaten Marktakteure ökonomisch nicht attraktiv genug sind. Das hat weniger mit den hohen Baupreisen als mit der wachsenden Ertragserwartung der Investoren zu tun. Solange mit Spekulationen auf starke Mietsteigerungen im Bestand eine hohe Rendite erzielt werden kann, wird es kein großes Interesse am Wohnungsneubau geben. Auch wenn von den Lobbyisten der Bauwirtschaft immer wieder auf die schwerfälligen Genehmigungsverfahren bei Bauvorhaben verwiesen wird: Das Bauen in Deutschland war nicht verboten und die geringe Neubauleistung trotz steigender Bevölkerungszahlen zeigt vor allem, dass die viel gepriesenen Marktmechanismen nicht greifen. Zu diesem Marktversagen kommt hinzu, dass sich die Kommunen fast überall aus dem Wohnungsneubau zurückgezogen haben. Anders als in früheren Dekaden wird das Marktversagen nicht durch staatliches Investieren ausgeglichen. Die Zeche für dieses doppelte Versagen von Markt und Staat zahlen die Mieterinnen und Mieter mit steigenden Mietpreisen und die Wohnungssuchenden, die gänzlich von der Wohnungsversorgung ausgeschlossen bleiben.
Welche Art Wohnräume fehlen eigentlich genau und in welchen Städten
und Regionen ist dieser Wohnraum-Mangel besonders groß?
Andrej Holm: Es fehlen vor allem leistbare Wohnungen für die Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen. Es gibt keine Wohnungsnot im Luxuswohnbereich. Dort fallen inzwischen sogar die Preise wieder. Ganz grundsätzlich gilt: je geringer das Einkommen, desto schwieriger die Wohnungsversorgung. Einzelne Studien zeigen, dass Geringverdiener oft 50 oder sogar 60 Prozent des sowieso schon geringen Einkommens für die Wohnung ausgeben. Da bleibt nicht viel zum Leben. Besonders drastisch ist die Situation in den wachsenden Großstädten und in einer Reihe von Universitätsstädten. Durch die wachsenden Bevölkerungszahlen und die hohen Neuvermietungszahlen durch häufige Wohnungswechsel werden Monopolstellungen der Anbieter hier besonders stark ausgenutzt. Das Paradox der aktuellen Situation wird hier besonders deutlich. Gerade weil die Wohnungsmärkte überfordert sind und die Preise steigen, gibt es weniger Neubauanreize, weil sich im Bestand so hohe Gewinne erzielen lassen. Eine Lösung des Problems wird um substantielle Einschränkungen der zurzeit möglichen Ertragserwartungsspekulationen mit Bestandswohnungen nicht umhin kommen.
Welche Rolle spielten Privatisierungen von Wohnbeständen des Bundes, der
Länder und der Kommunen in der Vergangenheit, und welche Rolle könnten öffentliche
Wohnungsunternehmen in der Zukunft spielen?
Andrej Holm: Die umfangreichen Privatisierungen der letzte 15 Jahre haben zu einer Marktradikalisierung beigetragen. Verkauft wurden ja meist große Portfolios, so dass die Privatisierung vor allem für institutionelle Anbieter interessant war. Es wird geschätzt, dass es inzwischen weit über zwei Millionen Wohnungen sind, die mehr oder weniger direkt von Banken, Immobilienfonds und anderen Finanzmarktakteuren bewirtschaftet werden. Die Privatisierung war der Türöffner für den wachsenden Einfluss von Finanzmarktlogiken im Bereich der Wohnungsversorgung. Für die Mieterinnen und Mieter hat das sehr unterschiedliche Konsequenzen. Während in eher entspannten Wohnungsmärkten die Gewinne durch Desinvestitionen und Einsparungen beim Personal durchgesetzt werden, wird in den Städten mit einer starken Nachfrage an der Spekulationsschraube gedreht. Schrottimmobilien und Luxusaufwertung sind letztendlich zwei Seiten ein und derselben Medaille. Für die Städte ist es besonders bitter, denn mit den wachsenden Problemen im privatisierten Bereich hat sich zugleich der kommunale Handlungsspielraum eingeengt. Je größer die öffentlichen Bestände einer Stadt, desto größer die Versorgungsleistung und die Effekte auf den Wohnungsmarkt. Im Vergleich mit anderen wohnungspolitischen Instrumenten ist öffentliches Eigentum an Wohnungen eigentlich sehr effektiv. Wenn nicht die Wohnungsunternehmen selbst zu einer Ökonomisierung gedrängt werden, wie es leider in vielen Städten zu beobachten ist.
Würde es helfen, den sozialen Wohnungsbau auszuweiten?
Andrej Holm: Ja, eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus würde zumindest kurzfristig die Anzahl und den Anteil von preiswerten und belegungsgebundenen Wohnungen erhöhen. Aber die zurzeit bereitgestellten Fördermittel von Bund, Ländern und Kommunen reichen nicht einmal aus, um die Abgänge der früheren Förderperioden zu kompensieren. Obwohl die Förderausgaben steigen, wird die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen weiter sinken. Die Fördersystematik des Sozialen Wohnungsbaus hat drei große Probleme: Der Wohnungsbau ist sehr teuer, die planmäßige Steigerung der Mietpreise durch den Abbau der Fördermittel lässt die Mieten steigen und der Soziale Wohnungsbau ist zeitlich befristet. Ein Großteil der Fördergelder wurde in der Vergangenheit an private Wohnungsunternehmen gegeben, die dann für meist 20 Jahre Sozialwohnungen zu halbwegs günstigen Mieten bereitgestellt haben. Nach Ablauf der Förderzeiträume enden die Sozialbindungen, und ehemalige Sozialwohnungen werden zu den ganz normalen Marktkonditionen bewirtschaftet. Das führt zu steigenden Mieten und zur Verdrängung finanzschwacher Bewohnerinnen und Bewohner. Im Kern ist der Soziale Wohnungsbau also eine Wirtschaftsförderung mit sozialer Zwischennutzung. Andere europäische Länder setzen ihre Fördermittel nachhaltiger ein. Was einmal gefördert ist, sollte auch hierzulande dauerhaft zur sozialen Wohnungsversorgung beitragen.
Sie plädieren für die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau. Was ist damit gemeint, und weshalb halten Sie dies für sinnvoll?
Andrej Holm: Die Gemeinnützigkeit kann ganz allgemein als eine steuerliche Begünstigung für Leistungen beschrieben werden, die dem Gemeinwohl dienen. Eine neue Wohngemeinnützigkeit hätte die dauerhafte Bereitstellung von preiswerten Wohnungen zum Ziel und die Unternehmen müssten sich einer Gewinnbeschränkung und einer Zweckbindung der Überschüsse unterwerfen. Alle Einnahmen müssten dann wieder in den sozialen Wohnungsbau investiert werden. Ein solches revolvierendes Prinzip würde auch die Probleme des Sozialen Wohnungsbaus lösen. Dass eine soziale Wohnungsversorgung im Interesse der Allgemeinheit läge, steht außer Frage. Wie beschrieben, können wir von privaten Investoren keinen nachhaltigen Beitrag für eine soziale Wohnungsversorgung erwarten. Diese soziale Blindheit des Marktes ist dabei kein böser Wille einzelner Akteure, sondern das Wesen einer gewinnorientierten Bewirtschaftungsweise. Die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit soll dazu dienen, den Non-Profit-Sektor im Bereich der Wohnungsversorgung zu stärken. Gerade weil der Markt versagt und der Staat die Wohnungsversorgung nicht umfassend vergesellschaften wird, bietet sich der Ausbau eines gemeinnützigen Sektors als eine notwendige und machbare Alternative an. Es geht also um nichts weniger als den Bruch mit der Profitlogik im Bereich der Wohnungsversorgung.
Der Artikel erschien zuerst in WISO-Info Ausgabe 1/2016.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.