Der stille Krieg gegen die Tagelöhner in Süditalien
10. März 2016 | Stefano Liberti
Talla Seck war ein 56-jähriger Senegalese. Er starb am 3. Februar in einer süditalienischen Zeltstadt, getötet durch Kohlenmonoxid, das aus seinem improvisierten Kohleofen ausströmte. Er arbeitete tagsüber in der Olivenernte und lebte in einem Slum in der Nähe von Andria in Apulien.
Mohammed Abdullah war Sudanese, 47 Jahre alt. Nach einem plötzlichen Kreislaufzusammenbruch starb er am 20. Juli des vergangenen Jahres, während er auf einem Feld zwischen Nardò und Avetrana in Salento Tomaten erntete.
Paola Clemente war eine 49-jährige Italienerin. Sie starb am 13. Juli bei Andria während ihrer Arbeit im Weinbau, wo sie zu klein geratene Beeren aus Weintrauben entfernte. Sie lebte in San Giorgio Jonico; jeden Morgen stand sie um zwei Uhr auf und fuhr 150 Kilometer, um 30 Euro am Tag zu verdienen.
Arcangelo De Marco war 42 Jahre alt, wie Paola Clemente kam er aus San Giorgio Jonico. Wie sie erlitt er einen plötzlichen Kreislaufzusammenbruch, während er zu klein geratene Beeren aus Weintrauben herausschnitt. Er arbeitete bei Metaponto, wo er am 5. August des vergangenen Jahres ins Koma fiel. Etwas mehr als einen Monat später ist er im Krankenhaus San Carlo in Potenza verstorben.
Zakaria Ben Hassine war ein 52-jähriger Tunesier. Er starb am 4. August in den Feldern von Polignano a Mare in Apulien. Er hatte einen regulären Arbeitsvertrag.
Dies sind die Toten des letzten Jahres auf den Feldern Süditaliens. Es sind keine schlichten Unglücke, sondern Opfer eines stillen Krieges, der gegen die Tagelöhner geführt wird – Tagelöhner, die miserabel bezahlt werden, oft mit Akkordlohn, und die (vor allem wenn es Ausländer sind) gezwungen werden, in gesundheitsgefährdenden Ghettos zu wohnen, wo es an allem fehlt. Von Apulien bis in die Basilikata, von Kalabrien bis Sizilien sind es hunderte behelfsmäßige Ansiedlungen, in denen saisonal die Landarbeiter wohnen: verlassene und zerfallende Gehöfte, Zeltstädte aus Holz und Pappe oder frühere Fabriken. In der bekanntesten von ihnen, im so genannten "Großen Ghetto" von Rignano Garganico in Apulien, leben auf dem Höhepunkt der Tomatenernte im Sommer bis zu tausend Personen.
Die Toten in den Feldern sind die Opfer eines Ausbeutungssystems, das allgemein bekannt ist. Es gründet auf quasi-mafiösen Praktiken wie dem "Caporalato" – so wird im Italienischen die zeitlich begrenzte, illegale Beschäftigung massiv unterbezahlter Landarbeiter durch Vorarbeiter und Subunternehmer bezeichnet. Dieses System gedeiht auch dank fehlender Kontrollen seitens der zuständigen Behörden. Nach Schätzungen, die 2014 von der Gewerkschaft FLAI-CGIL in einem Bericht über die Agro-Mafia und das Caporalato veröffentlicht wurden, "finden jährlich 400.000 Arbeiter durch das Caporalato eine Beschäftigung auf den Feldern; davon leben 100.000 in faktischer Knechtschaft aufgrund sklavenähnlicher Wohn- und Lebensverhältnisse. Die von Subunternehmern und Vorarbeitern angeheuerten Arbeiter beziehen einen Lohn von 25 bis 30 Euro am Tag, eine Bezahlung, die 50 Prozent unter dem Lohn liegt, den landesweite Tarifverträge festlegen."
Der Sabr-Prozess
2011 wurde das Caporalato im italienischen Recht zu einer Straftat. In Lecce wird derzeit der so genannte "Sabr-Prozess" geführt, benannt nach einem der Angeklagten. Dort sind mehrere Vorarbeiter und Unternehmer angeklagt, ausländische Tagelöhner ausgebeutet zu haben, verbunden mit dem schweren Vorwurf, die zu Sklaven gemacht zu haben. Aber auf den Feldern hält sich das Gefühl der Straffreiheit hartnäckig, die Kontrollen sind minimal, die Praktiken werden weitergeführt, als sei nichts gewesen: Das Unternehmen, das den verstorbenen Sudanesen Mohammed Abdullah angeheuert hatte, gehört der Ehefrau eines der Angeklagten im Sabr-Prozess.
Es ist daher vielleicht notwendig, neben echten Kontrollen auf den Feldern auch die Großhandels-Unternehmen stärker in den Blick zu nehmen. Druck auszuüben auf diese Firmen, sie gesetzlich zu zwingen, anzugeben, woher die Orangen kommen, die sie verkaufen, wo die Tomaten und Trauben geerntet wurden, die sie auf ihren Regalen der Kundschaft anbieten. Denn wenn sie gezwungen werden, dies bekanntzugeben, dann werden sie weniger geneigt sein, sich in jenen Gegenden mit Ware einzudecken, die im Verdacht stehen, dass dort Praktiken wie das Caporalato verbreitet sind.
Ohne Absatzmärkte haben die Agrar-Unternehmer größere Schwierigkeiten, sich unterbezahlter und überausgebeuteter Arbeitskräfte zu bedienen. So werden weitere Tote vermieden und, vor allem, nähert man sich so einer Form der Regulierung einer Branche, nämlich der Landwirtschaft, die in großem Umfang von Illegalität geprägt ist.
Der Artikel erschien zuerst auf www.internazionale.it. Wir danken für die Genehmigung zur Übersetzung und Zweitveröffentlichung. Übersetzung: Patrick Schreiner.
Stefano Liberti ist Journalist aus Italien. Auf Twitter ist er unter @abutiago aktiv.