Trotz Kritik: Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Leiharbeit hält unvermindert an
2. August 2016 | Markus Krüsemann
Seit 2010 nun schon besteht das von der Bundesagentur für Arbeit (BA) erfasste Angebot an offenen Stellen zu mehr als einem Drittel aus Jobofferten aus der Leiharbeitsbranche. Die BA reagierte schnell: Auf zählbare Vermittlungserfolge aus, drückte sie die Menschen in Leiharbeit - und geriet darüber in Verruf. Trotz auch interner Kritik hat sich an dieser Vermittlungspraxis bis heute kaum etwas geändert, wie aktuelle Zahlen belegen.
Im Jahr 2010 hatte sich das von der Bundessagentur für Arbeit (BA) unter anderem auf ihrer Jobbörse veröffentlichte Angebot an offenen Stellen auffällig und nachhaltig verändert: Plötzlich waren mehr als ein Drittel der Jobofferten Angebote aus dem Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Der damals nach der Finanzkrise wieder einsetzende Boom der Branche und die allgemeine Belebung am Arbeitsmarkt allein konnten dieses Phänomen nicht ausreichend erklären. Stattdessen wurde damals schon vermutet, dass immer mehr Betriebe dazu übergegangen waren, Stammbeschäftigte durch Leiharbeiter/innen zu ersetzen.
Der Deal mit der Überlassungsbranche gerät in die Kritik
Der Boom bei der Leiharbeit hatte die BA schon 2007 dazu bewogen, mit 15 der größten Leiharbeitsunternehmen in Deutschland Kooperationsvereinbarungen zu schließen. Darin verpflichtete sich die BA, die spezifischen Bedürfnisse der Leiharbeitsbetriebe zu berücksichtigen und persönliche Ansprechpartner bei den jeweiligen Arbeitgeberservices der Agenturen zu benennen. Hinzu kamen weitere Privilegien. Leiharbeitsunternehmen konnten Stellen über einen eigenen Account melden, sie hatten Zugang zu den Jobbörsen der BA, erhielten auf telefonische Anfrage ein große Zahl an Bewerbern und nahmen an Job-Messen teil, die in den Räumlichkeiten der BA oder auch der Jobcenter stattfanden.
Für die Arbeitsagenturen waren die Verleihbetriebe willkommene Abnehmer. Für die Bereinigung ihrer Statistik dürfte es ihnen ziemlich egal gewesen sein, wohin sie die Arbeitslosen vermittelten – zumindest solange, bis im Januar 2013 erstmals Kritik an ihrer Vermittlungspraxis laut wurde: Die Agenturen machten sich den Leiharbeitsboom zunutze, indem sie ihre Vermittlungserfolge überdurchschnittlich stark auf die Vermittlung in Leiharbeit begründeten, lautete ein bei taz.de vom 03.01.2013 zu lesender Vorwurf. Pikant daran, der Vorwurf stammte aus den eigenen Reihen. Der damalige Vorsitzende des Hauptpersonalrats, Eberhard Einsiedler, bemängelte in einem Diskussionspapier, dass die BA zu viel auf vermeintliche Erfolgszahlen statt auf die Qualität der vermittelten Jobs schaue. Obwohl die Leiharbeitjobs nur ein Drittel der offenen Stellen im BA-Angebot ausgemacht hätten, seien die Hälfte der den Arbeitslosen unterbreiteten Stellenangebote eben solche Leiharbeitsjobs gewesen. Einzelne Agenturen hätten sogar bis zu 70 Prozent ihrer Besetzungserfolge durch Vermittlung in Leiharbeit erzielt, so Einsiedler laut taz.de.
Gegenüber Welt online hatte BA-Chef Frank-Jürgen Weise damals einräumen müssen, dass es bei der Zusammenarbeit mit der Leiharbeitsbranche „Fehlentwicklungen“ gebe. Fehlerhaft war hier wohl vor allem eine falsche Anreizstruktur: Eine Vermittlung in Leiharbeit wurde als genau so erfolgreich bewertet wie jede andere Vermittlung auch. Da muss es nicht wundern, dass die auf Vermittlungserfolge angewiesenen Arbeitsvermittler/innen nicht lange zauderten, obwohl sie natürlich wussten, dass eine Vermittlung in Leiharbeit ihre „Kunden“ nur in den seltensten Fällen nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt integrieren würde.
Neuausrichtung des Zielsystems
Weise kündigte denn auch an, die Messung des Vermittlungserfolgs abändern und dabei den Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigen zu wollen. Nimmt man ihn beim Wort, so kann das nur bedeuten, dass zukünftig die Integration in Leiharbeit anders gewichtet werden müsste als eine Vermittlung direkt in einen Betrieb.
Die BA hat die Kooperationsvereinbarungen zwar nicht angetastet, sie hat aber in der Tat ihr Zielsystem neu ausgerichtet. Die Nachhaltigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt wird seitdem insofern höher bewertet, als dafür jetzt eine Mindestdauer des Beschäftigungsverhältnisses von sechs Monaten erreicht werden muss. Gut die Hälfte aller Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit dauert aber nicht länger als drei Monate, und sehr viele der eben erst vermittelten Leiharbeitsbeschäftigten dürften dann wieder ohne Job dastehen, schließlich gelingt nur selten der Sprung in die reguläre Festanstellung. Vermittlungen in die Leiharbeitsbranche müssten demnach insgesamt schlechter bewertet werden als die Integration Arbeitsloser in andere Branchen, denn, wie die BA selbst einräumt, die Nachhaltigkeit von Beschäftigungsaufnahmen in der Leiharbeit ist niedriger als im Durchschnitt über alle Branchen.
Trendwende bleibt bis heute aus
Zu einer Trendwende bei der Vermittlungstätigkeit der Arbeitsagenturen und Jobcenter hatte dies allerdings nicht geführt. Zwei parlamentarische Anfragen der Bundestagsfraktion der Grünen (vom Januar 2015 und vom Februar 2016) haben ergeben, dass sowohl 2013 als auch 2014 von den jeweils gut 260.000 Vermittlungen der BA und der Jobcenter in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung jeweils etwa 81.000 auf die Branche der Arbeitnehmerüberlassung entfielen, was in beiden Jahren einem Anteil von mehr als dreißig Prozent entsprach. Im Zeitraum von Dezember 2014 bis November 2015 nahmen sogar 33 Prozent der vermittelten Arbeitslosen eine Beschäftigung in der Branche der Arbeitnehmerüberlassung auf. Gegenüber dem für 2012 ermittelten Anteil von 31,8 Prozent ist das wahrlich keine Wende zum Besseren.
Wie jetzt bekannt wurde, verbleibt die Vermittlungsquote auch 2016 auf diesem hohen Niveau. Laut Südwest Presse online nahmen im April dieses Jahres 33,7 Prozent der von Arbeitsagenturen und Jobcentern vermittelten Arbeitssuchenden eine Stelle in der Leiharbeit an. Dabei können die Arbeitsvermittler/innen ganz bequem aus dem Vollen schöpfen, schließlich ist weiterhin fast jede dritte gemeldete offene Stelle ein Job in der Leiharbeit.
Die Zahlen stehen in einem krassen Missverhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung der Branche. Noch sind gerade mal knapp drei Prozent aller Beschäftigten in Deutschland im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig, Tendenz allerdings weiter steigend. Wie heißt es dazu so schön im aktuellen Report der BA zur Entwicklung der Leiharbeit in Deutschland: „Die Anzahl der Leiharbeitnehmer ist im langfristigen Vergleich in der Tendenz mit hoher Dynamik gewachsen.“ An dieser Entwicklung haben Arbeitsagenturen und Jobcenter tatkräftig mitgewirkt.
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Zum Nachlesen:
taz.de vom 03.01.2013
Welt online vom 13.01.2016
Südwest Presse online vom 27.07.2016
Vermittlung in Leiharbeit durch die Bundesagentur für Arbeit. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucksache 18/7819 (03/2016).
Bundesagentur für Arbeit (Hg.) (2016): Der Arbeitsmarkt in Deutschland - Zeitarbeit - Aktuelle Entwicklungen, Juli 2016, Nürnberg.
Vordruck der Bundesagentur für Arbeit: "Vereinbarung
zwischen der Agentur für Arbeit/Koordinierenden Stelle Zeitarbeit
und … (Zeitarbeitsunternehmen)
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.