Ein exzellentes Zeugnis für den Mindestlohn
19. Oktober 2016 | Markus Krüsemann
Der Mindestlohn hat längst Erfolgsgeschichte geschrieben. Wie aber sieht es mit unerwünschten Nebenwirkungen wie Jobverlusten aus? Eine kürzlich veröffentlichte IAB-Studie findet eher unerwartet keinerlei negative Effekte in Bezug auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.
Der Anfang 2015 eingeführte allgemeine gesetzliche Mindestlohn gilt weithin als die größte Sozial- und Arbeitsmarktreform seit der Inkraftsetzung der - zurückhaltend formuliert - unseligen Hartz-Gesetze. Da nimmt es nicht Wunder, dass Forschungseinrichtungen, die sich der Arbeitsmarktforschung verschrieben haben, erhebliches Interesse daran zeigen, die womöglich vielfältigen Folgeerscheinungen einer allgemeinen Lohnuntergrenze zu analysieren. Am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat man dazu eigens eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die den Wirkungen des Mindestlohns nachspüren will.
Mindestens ebenso intensiv wird dort auch nach Nebenwirkungen des Mindestlohns gefahndet, die scheinbar a priori negative sein müssen: Denn auch in dem kürzlich veröffentlichen, diesbezüglich aktuellsten IAB-Diskussionspapier liegt das Augenmerk auf der Frage, ob der Mindestlohn, neben seinem Hauptzweck, Arbeitnehmer vor niedrigen Löhnen zu schützen, auch weitere, womöglich „unerwünschte Nebenwirkungen“ habe.
Wie schon Mario Bossler (IAB), der sich intensiv mit den Folgen des Mindestlohns befasst, die Beschäftigungseffekte gerne möglichst genau beziffern möchte und alles daran setzt, Jobverlusten doch noch auf die Spur zu kommen, so fragt auch der Autor dieses Diskussionspapiers, Alfred Garloff, seines Zeichens Mitarbeiter in der Regionaleinheit IAB Hessen, erneut, ob negative Wirkungen auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit erkennbar sind (vgl. Garloff 2016). Man kann dem IAB ein gewisse Fixierung hier nicht absprechen.
Sei’s drum. Garloff jedenfalls wählt einen nicht uninteressanten alternativen Ansatz zur Schätzung der mindestlohnbedingten Entwicklung von Arbeitslosigkeit und/oder Beschäftigung. Unter Verwendung von Regionaldaten aus der Arbeitslosen- und der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit werden regionale Beschäftigtengruppen gebildet und in Hinblick auf ihre Betroffenheit verglichen. Die Vergleichsgruppen (im Text Zellen, „cells“ genannt) variieren nicht nur nach den 141 Arbeitsmarktregionen, sondern auch nach Alter und Geschlecht. So wird es etwa möglich Frauen mittleren Alters im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern als stark von der Mindestlohneinführung betroffene Erwerbstätigengruppe (Zelle a) Männern mittleren Alters in der Arbeitsmarktregion Frankfurt als kaum von der neuen Lohnuntergrenze betroffene Regionalgruppe (Zelle b) gegenüberzustellen und deren Betroffenheit zu vergleichen.
Mindestlohn dämpfte Beschäftigungswachstum 2015 nicht
Um es kurz zu machen: Im ersten Jahr nach Einführung des allgemeinen Mindestlohns (weiter reicht das Analyseverfahren nicht) war in Zellen, die stark vom Mindestlohn betroffen waren, kein langsameres Wachstum der Gesamtbeschäftigung (sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte) erkennbar als in Zellen, die weniger stark betroffen waren. Vielmehr sind in diesen Zellen sogar besonders viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
Auch in Bezug auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit waren keine Unterschiede feststellbar. Garloff schlussfolgert daraus, dass der Mindestlohn bisher weder zu Rückgängen der Gesamtbeschäftigung bei den analysierten Gruppen noch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat.
Die Befunde gelten allerdings nur für die ausschließlich untersuchten Altersgruppen zwischen 30 und 54 Jahren. Laut Garloff lassen sie sich aber immer dann auch auf die jüngeren und älteren Erwerbstätigen übertragen, wenn die gemessenen Effekte über alle fünf aggregierten Altersgruppen gleich gewesen sind, was nicht selten der Fall war.
Minijobs gingen nur teilweise und nur in Ostdeutschland verloren
So wie diese Ergebnisse von anderen IAB-Analysen abweichen, die zumindest leichte Beschäftigungsverluste gemessen haben, kommt Garloff auch bei den bereits bekannten Resultaten in Bezug auf die Entwicklung der Minijobs zu leicht unterschiedlichen Resultaten. Nach bisheriger Auffassung hat der Mindestlohn die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten bundesweit schrumpfen lassen, wobei zumindest ein Teil dieser Minijobs in sozialversicherungspflichtige Teilzeitarbeitsplätze umgewandelt worden ist. Laut eines IAB-Forschungsberichts vom Jahresanfang (IAB 2016) kann etwas mehr als die Hälfte des Rückgangs bei den Minijobs dadurch erklärt werden, dass die betroffenen Personen direkt in eine ausschließlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechselten.
Hier kommt Garloff zunächst zu ähnlichen Befunden: In den Zellen mit auffälligen Verlusten bei der geringfügigen Beschäftigung sind besonders viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Seiner Analyse zufolge sind allerdings nicht bundesweit, sondern nur in den ostdeutschen Arbeitsmarktregionen Minijobs verloren gegangen. In Westdeutschland sind dagegen keine Verluste nachweisbar.
Fazit
Die präsentierten Befunde stellen in ihrer Eindeutigkeit eine für Mindestlohngegner hart zu knackende Nuss dar: Kein mindestlohnbedingter Anstieg der Arbeitslosenquoten messbar, kein langsameres Wachstum der Gesamtbeschäftigung durch den Mindestlohn nachweisbar, auffällige Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in von der Mindestlohneinführung besonders betroffenen regionalen Beschäftigtengruppen, in Westdeutschland kein Verlust von Minijobs nach Mindestlohneinführung erkennbar, und bundesweit wurde die große Mehrzahl der verschwundenen Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt. Selten wurde dem Mindestlohn ein so positives Zeugnis ausgestellt.
Zum Weiterlesen:
Garloff, A. (2016): Side effects of the new German minimum wage on (un-)employment: First evidence from regional data. IAB Discussion Paper, Nr. 31/2016, Nürnberg.
IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (Hg.) (2016): Arbeitsmarktspiegel - Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe1), Kurzfassung des Forschungsberichts 1/2016, Nürnberg.
Bosch, G. (2016): Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns - Schriftliche Stellungnahme für die Mindestlohnkommission zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, IAQ Standpunkt 2016-04, Duisburg.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.