Der Autobahnbau wird per Grundgesetzänderung privatisiert – und viele Schulen gleich mit
15. Dezember 2016 | Carl Waßmuth
Haben Sie das gelesen:  „Gabriel stoppt Autobahn-Privatisierung“ (SZ). Oder das: „Autobahnen werden doch nicht privatisiert“ (Spiegel). Das scheint doch erstaunlich! Zwei Jahre lang kämpft die Bundesregierung darum, privaten Investoren den Zugang zu unseren Autobahnen zu verschaffen und nun das. Was ist eigentlich passiert?
Hat Gabriel die Grundgesetzänderung gestoppt? Ist die geplante Autobahngesellschaft vom Tisch? Ist die ganze Privatisierung verhindert? Wir müssen leider sagen: dreimal nein! Vielmehr passiert dies: (1) Das Grundgesetz wird geändert. (2) Die neue Gesellschaft wird gegründet. (3) Autobahnbau- und betrieb werden privatisiert. Wir sind uns bewusst, dass diese Aussagen deutlich abweichen von allem, was die sogenannten Leitmedien die letzten Tage berichten. Aber unsere Aussagen lassen sich belegen. Uns liegen die Entwürfe für die
Gesetze und die
Grundgesetzänderungen vor, die das Bundeskabinett am 9.12. verabschieden will. Sie wurden gestern einigen Verbänden zugesandt – mit der Aufforderung, bis zum Montag, den 28.11.16, 12 h Stellung zu nehmen. Nachfolgend stellen wir die fünf wichtigsten Grausamkeiten in einer Kurzbewertung dar.
1. Das Grundgesetz wird geändert
Der Entwurf für die Grundgesetzänderung umfasst inklusive Begründung 21 Seiten. Geändert werden sollen die Artikel 74, 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f und 143g. In dem Text ist die Frage der Neuorganisation der Autobahnen ohne erkennbaren Zusammenhang mit der Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs verknüpft. An keiner Stelle wird geregelt, dass Bund oder Länder einen Ausgleich für die Übernahme von zusätzlichem Aufwand erhalten. Im Entwurf werden die Voraussetzungen geschaffen, eine privatrechtliche Infrastrukturgesellschaft Verkehr zu schaffen. Darüber hinaus sind noch zahlreiche weitere Änderungen enthalten, die in ihren wechselseitigen Bezügen zu bewerten sicherlich noch Monate in Anspruch nehmen wird.
2. Die neue Gesellschaft für den Autobahnbau wird gegründet
Die neue Gesellschaft soll „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ heißen. „Infrastrukturgesellschaft Autobahnen“ wäre weniger irreführend, denn es geht definitiv nicht um Fußverkehr, Radverkehr, Bahnverkehr, Schifffahrt oder Luftfahrt. Auch bezogen auf die Straßen geht es nur um etwa zwei Prozent aller Strecken im deutschen Straßennetz.
Ergänzend soll ein „Fernstraßen-Bundesamt“ eingerichtet werden, analog dem „Eisenbahn-Bundesamt“ bei der Bahnprivatisierung 1994. Wer das Eisenbahn-Bundesamt nicht kennt: Das ist die zahnlose Behörde, die bis heute die vorschriftswidrige fünffach höhere Längsneigung im Tiefbahnhof „Stuttgart 21“ nicht verhindern konnte oder mochte. Das neue Fernstraßen-Bundesamt soll die Rechts- und Fachaufsicht im Bereich der Autobahnen ausüben und zuständig sein für Planung und Linienführung sowie Planfeststellung und Plangenehmigung.
Die neue Gesellschaft soll in vier Jahren, ab dem 1. Januar 2021, die vollen ihr zugedachten Aufgaben übertragen bekommen. Ab diesem Zeitpunkt wird für sie „von einem Erfüllungsaufwand des Bundes von rd. 635 Mio. Euro“ ausgegangen. Für den Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 räumt sich der Bund grundgesetzlich umfassende Weisungsbefugnisse ein und schließt künftig in allen relevanten Fragen die Beteiligung des Bundesrats aus.
Die neue „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ soll auch selbst „Mautgläubigerin“ werden können. Sie kann also das Recht übertragen bekommen, die Lkw-Maut und die Pkw-Maut zu erheben.
Für „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ und „Fernstraßen-Bundesamt“ zusammen wird angenommen, dass „insgesamt rund 1.300 Beamte und Beamtinnen der Länder einen Dienstherrenwechsel auf Basis dieses Gesetzes vollziehen werden.“ Derzeit sind etwa 18.000 Beschäftigte in den Ländern für die Fernstraßen tätig. Selbst wenn die Hälfte davon für Bundesstrassen tätig wäre, würde das immer noch bedeuten, dass keine 15 Prozent der für Autobahn zuständigen Beschäftigten künftig auch noch im Bereich der Autobahnen tätig blieben. Offen sind die Fragen: Was machen die knapp 8000 Beschäftigten, deren Aufgabenbereich entfällt? Und wie will der Bund mit nur 15 Prozent der Beschäftigten die erforderliche Qualität und Sicherheit aufrechterhalten?
Offen ist, welche Prüfungsrechte der Bundesrechnungshof künftig haben wird. Er hatte zehn Jahre lang mit kritischen Gutachten immer wieder die Nachteilhaftigkeit von Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) angeprangert. Es kann in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass Bürgeranfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz künftig am Geschäftsgeheimnis abprallen würden.
3. Die Autobahnen werden privatisiert
Ab der Gründung und Aufgabenübertragung entscheidet ein privatrechtliches Unternehmen über Fragen des Ausbaus, des Erhalts, des Neubaus und des Betriebs von Autobahnen. Es soll zwar zu 100% dem Bund gehören, kann aber – wie die DB AG – nicht mehr durch Parlamente kontrolliert werden. Erstmalig begründet die Bundesregierung diesen Schritt. So heißt es, bisher gäbe es eine
"erschwerte Durchsetzung von Bundesinteressen: Der Bund ist auf das Berichtswesen der Länder angewiesen, [der Bund hat] in der Praxis tatsächlich keine Sanktionsmöglichkeiten; die Erteilung von Weisungen als ultima ratio ist nur schwer handhabbar, so dass Bundesziele nicht stets planmäßig umgesetzt werden können“ (Begründung zum Entwurf für ein Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr)
Uns ist in jüngerer Zeit nur eine einzige Weisung des Bundes in Sachen Autobahn bekannt geworden: Das Bundesverkehrsministerium wies die niedersächsische Landesregierung an, einen Abschnitt der A7 per ÖPP auszuschreiben. Das scheint nicht oder nicht schnell genug geklappt zu haben. Also sollen die als hinderlich wahrgenommenen Bundesländer ausgeschaltet werden, so dass nichts mehr im Wege steht zwischen der Bundesregierung und ihrem Ziel, ÖPP einzusetzen.  Nun hatte Sigmar Gabriel vor zwei Jahren, als er das ganze Vorhaben mit der Einsetzung der „Fratzscher-Kommission“ aufs Gleis setze, noch dem Bundestag erzählt:
"Es geht nicht um eine Neuauflage von PPP-Projekten."
Mittlerweile lässt sein Ministerium auf die Frage, ob Gabriels Absage an Privatisierungen sich auch auf ÖPP beziehe, mitteilen, „zu solchen Detailfragen wolle man sich derzeit nicht äußern“. Da spricht der Die Möglichkeit, ÖPP einzusetzen, wird im Begleitgesetz explizit ausformuliert:
"Die Gesellschaft kann sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben Dritter bedienen.“
(Entwurf für ein Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr, §2, Absatz 5)
ÖPPs sind eine Form von Privatisierung. Das besagen alle anerkannten Betrachtungen zu dieser Frage, und das besagen auch alle Erfahrungen mit ÖPP hierzulande und international. Mit ÖPP können alle Steuern und Gebühren, die in den nächsten Jahrzehnten den Autobahnen gewidmet werden, in die internationalen Finanzmärkte für Infrastruktur gelenkt werden. Der neuen privatrechtlichen Infrastrukturgesellschaft Verkehr steht es frei, den Erhalt, Ausbau und Betrieb komplett per ÖPP umzusetzen. Dabei geht es um insgesamt ca. 300 Mrd. Euro für die nächsten 30 Jahre – dem üblichen Vertragszeitraum von ÖPP-Verträgen. Ein größeres Privatisierungsvorhaben gab es in Deutschland seit 20 Jahren nicht.
4. Die Bundesregierung will künftig auch die Schulprivatisierung erzwingen
Mit der Autobahnprivatisierung ist für die Bundesregierung offenbar noch nicht genug Privatisierung in den Referentenentwürfen enthalten. Mit den Grundgesetzartikeln Artikel 104b und 104c soll deswegen dem Bund das Recht eingeräumt werden, künftig finanzschwachen Kommunen bei Investitionen in den Schulbau „zu helfen“. Diese Hilfe sieht konkret so aus: Die Bundesregierung kann bei Gewährung von Finanzhilfen finanzschwachen Kommunen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur künftig „zur Sicherstellung der zweckentsprechenden Mittelverwendung Weisungen gegenüber der obersten Landesbehörde erteilen“. Wenn die Bundesregierung ÖPP für zweckentsprechend hält, kann sie also Weisung erteilen, ÖPP umzusetzen. Und sie hält ÖPP für zweckmäßig:
„Förderfähig sind auch Investitionsvorhaben, bei denen sich die öffentliche Verwaltung zur Erledigung der von ihr wahrzunehmenden Aufgaben über den Lebenszyklus des Vorhabens eines Privaten im Rahmen einer vertraglichen Zusammenarbeit bedient. Dabei kann sie dem privaten Vertragspartner für den investiven Kostenanteil des Vorhabens eine einmalige Vorabfinanzierung gewähren – im Folgenden Vorabfinanzierungs-ÖPP (Öffentlich Private Partnerschaft).“
( Entwurf für die Änderung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes, § 13)
Die Kommunen wurden ausgehend von der ersten rot-grünen Bundesregierung kontinuierlich und massiv ihrer Einnahmen beraubt. Von 25 Prozent Anteil am Steueraufkommen sank ihr Anteil auf weniger als die Hälfte. Viele Kommunen wurden zu einer Art Griechenland innerhalb Deutschlands gemacht. und wie in Griechenland soll nun diesen Kommunen Privatisierung verordnet werden: per Weisung der Bundesregierung.
5. Die Frist für eine Beteiligung der Zivilgesellschaft beträgt nur vier Tage
Von Donnerstag 13:04 h bis Montag 12:00 h haben die Verbände Zeit, Stellungnahmen abzugeben. Das sind anderthalb Arbeitstage plus ein Wochenende. Es erscheint wie ein Hohn, dass im Anschreiben vom Verkehrsministerium darum gebeten wird, die „kurze Frist bitte im Hinblick auf die enge Terminlage zu entschuldigen“. Die enge Terminlage haben die Verbände nicht zu vertreten. Im Gegenteil: Seit einem Jahr schmettert die Bundesregierung alle Anfragen zu dem Thema ab, behandelt alle Entwürfe als Geheimsache. Jetzt soll eine Artikelgesetz von 125 Seiten und ein 21‑seitiger Grundgesetzentwurf an einem langen Wochenende bewertet werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass eine Beteiligung der Zivilgesellschaft unerwünscht ist, ja dass die Bundesregierung sogar große Angst davor hat.
Natürlich wird es nach dem Kabinettsbeschluss noch weitere Anhörungen und Aufforderungen zur Stellungnahme geben. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass das beim derzeitigen Zustand von CDU, CSU und SPD noch große Effekte auslösen wird. Denn wenn die Abgeordneten im Bundestag oder die Regierungen der Länder im Bundesrat gegen das Vorhaben stimmen würden, würden sie gleichzeitig gegen ihre ganze Parteispitze stimmen. Und dergleichen ist in den letzten Jahren nicht mehr vorgekommen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.gemeingut.org. Wir danken für die Genehmigung zur Zweitveröffentlichung.
Carl Waßmuth ist aktiv bei GiB - Gemeingut in BürgerInnenhand.