VOX zeigt, wie man in einer neoliberalen Marktgesellschaft Kinder erzieht
30. Januar 2017 | Patrick Schreiner
Eine Dokumentation des TV-Senders VOX mit dem Titel »Die wunderbare Welt der Kinder – wir sind 4!« veranschaulichte, wie sich eine neoliberale Marktgesellschaft auch in der Erziehung der Kleinsten niederschlagen kann.
Für den Zweiteiler, gesendet am 17. und 24. Januar, wurde eine Gruppe von zehn Kindern in einer altersgerechten Umgebung beim Spielen, beim Toben und während mehrerer spielerisch-pädagogischer Versuche gefilmt. Eine Professorin und ein Professor für Entwicklungspsychologie sowie die Eltern der Vier- und Fünfjährigen kommentierten die Filmaufnahmen. Insbesondere die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler gaben dem Publikum darüber hinaus auch jede Menge Erziehungstipps.
Die Berliner Zeitung fragte sich und ihre LeserInnen zu Recht: »Darf man vierjährige Kinder im TV so vorführen?« Ansonsten aber zeigt sich der Artikel (mehr noch als als die Frankfurter Rundschau) durchaus wohlwollend interessiert:
Der Ansatz, die Entwicklung von Kindern erklären zu wollen, ist an sich gut. Auch wenn sich natürlich streiten lässt, ob so etwas durch eine TV-Sendung erfolgen muss. Die Kinder in ihrer eigenen Dynamik zu beobachten, wie sie sich kennen lernen, wie sie zanken und teilen und spielen und schmollen, das ist in der Tat spannend. Und auch ganz simpel: amüsant und unterhaltsam.
Was wiederum reichlich unkritisch ist. Gründe, den ideologischen Hintergrund des ganzen Doku-Projektes kritisch zu hinterfragen, gibt es demgegenüber tatsächlich einige. Es ist entlarvend, was sich die Verantwortlichen der Sendung unter Erziehung und frühkindlicher Bildung vorzustellen scheinen: Schon das erste Experiment prüfte das Verhalten der Kinder in einer Konkurrenzsituation. Schließlich sei »Wettbewerb« in unserer Gesellschaft alltäglich. Ein weiteres Experiment testete die Bereitschaft der Kleinen zur Selbstdarstellung – gleichfalls unter Verweis auf gesellschaftliche Regeln: »Wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen.« In einem anderen Experiment mussten die Kinder (ohne anwesende Aufsichtsperson) ihre Finger von einem Schokokuchen lassen. Dies zu können sei bedeutsam, da Selbstbeherrschung die Grundlage für späteren Erfolg darstelle. Bei einem Bootsbau-Wettbewerb musste eine Gruppe zurückhaltender Kinder gegen eine Gruppe von »Bestimmern« und »Machern« antreten. Immerhin, so erklärte man dem Publikum, gebe es »solche Versuchsarten auch bei Managertrainings«. Dass am Ende die Gruppe der vorsichtigen Kinder den Kürzeren zog, überraschte den Kommentator offenbar nicht, denn: »Was hier fehlt: Einer, der antreibt. Und der feste Wille zu gewinnen.«
Selbst bei Experimenten, die soziales und mitmenschliches Verhalten verlangten, bildete Konkurrenz die Hintergrundfolie: Welches Kind ist am großzügigsten? Welches zeigt das beste Einfühlungsvermögen? Welches erweist sich als das ehrlichste? Man mochte es einer Mutter gar nicht mehr verdenken, dass sie das (in einer bestimmten Situation) egoistische Verhalten ihrer kleinen Tochter mit den Worten rechtfertigte, dieses sei gut, da es Charakter- und Willensstärke zeige, die man heutzutage ja brauche.
Dieser Artikel ist ein leicht überarbeiteter und erweiterter Textauszug aus dem neuen Buch des Autoren "Warum Menschen sowas mitmachen - Achtzehn Sichtweisen auf das Leben im Neoliberalismus". Es erscheint im April 2017 bei PapyRossa.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.