Wenn Neoliberale von Interessengegensätzen sprechen…
8. März 2017 | Patrick Schreiner
Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat sich des Themas Populismus angenommen. In einem Interview auf Zeit Online offenbart er dabei ein nicht ganz so überzeugendes Demokratieverständnis.
Auf die Frage, was Politiker dem Populismus entgegensetzen sollten, antwortet Fuest (die vier nachfolgenden Zitate bilden im Interview eine zusammenhängende Antwort):
Es gibt nicht die eine Lösung. Es gehört zu einer vernünftigen Politik, auch offen zu erklären, dass die Interessen in der Bevölkerung nicht homogen sind. Interessengegensätze und Kompromisse gehören zur Demokratie.
In der Tat sind Interessen nicht homogen, und in der Tat gibt es jede Menge Interessengegensätze. Man könnte und sollte insbesondere an den grundlegendsten sozialen Gegensatz in einer kapitalistischen Gesellschaft denken, nämlich den zwischen Arbeit und Kapital. Dass das Problem des wachsenden (Rechts-) Populismus etwas damit zu tun hat, dass bestimmte Interessen in der realen Politik unterrepräsentiert sind, liegt zumindest nahe. Und man könnte meinen, Fuest hätte dieses Problem erkannt.
Aber schauen wir, wie er weitermacht:
Politiker sollten den Wählern erklären, dass politische Globalisierung im Sinne der Vereinbarung internationaler Verträge beispielsweise für den Handel die Funktion haben, die Politik auf längere Zeit zu binden und für berechenbare Rahmenbedingungen zu sorgen.
Globalisierung muss den Menschen nach Fuest also einfach besser erklärt werden. Zum Segen der Globalisierung gehört für ihn dabei offenbar auch die Bindung von Politik durch Freihandelsverträge. Von Interessengegensätzen keine Spur mehr. Im Gegenteil: Die Interessen der Menschen, die auf eine starke Regulierung von Märkten und auf eine starke Absicherung durch Politik existenziell angewiesen sind, spielen plötzlich keine Rolle mehr. Ohne es zu sagen (und ohne es zu merken?), nimmt Fuest die Position derer ein, in deren Interesse es liegt, Politik durch Freihandel und Globalisierung „zu binden“.
Dann führt er weiter aus:
Wenn ein Land Mitglied der Europäischen Union wird, ist das eine dauerhafte Verpflichtung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Fuest reagiert hier offensichtlich auf den Umstand, dass Europafeindlichkeit zu einem Markenkern quasi aller Rechtspopulisten geworden ist. Nun wäre gegen eine „dauerhafte Verpflichtung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ sicherlich nichts einzuwenden, gerade mit Blick auf die Rechten. Was Fuest nur leider verschweigt: Die Europäische Union bindet nicht nur an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern auch an Austerität, Binnenmarkt, Maastricht-Kriterien, Fiskalpakt, Konkurrenzdenken, Vorrang des Marktes und ähnliches. Im europäischen Primärrecht sind allen gegensätzlichen Behauptungen zum Trotz die Rechte des Kapitals faktisch höher gewichtet als Menschen- und soziale Rechte. Einmal mehr lässt Fuest damit die Menschen unerwähnt, in deren Interesse ein solches Europa gerade nicht liegt.
Schließlich aber lässt er die Katze aus dem Sack:
Diese Bindung begrenzt die Macht der jeweils gewählten nationalen Regierungen, und diese Machtbegrenzung liegt im langfristigen Interesse aller Bürger.
Die wohlklingende Rede von den Interessengegensätzen in der Demokratie mündet damit in die Behauptung, eine (neo-) liberale Politik der „Bindung“ von Politik liege im Interesse „aller Bürger“, sei also Allgemeinwohl. Schlussendlich soll also doch das Interesse des Kapitals erklärtermaßen das Interesse aller sein. Schlussendlich gibt es also doch nur die eine Lösung. So, wie es schon seit Jahrzehnten gepredigt wird. Fuest hat nichts dazugelernt.
In den Kommentaren zu diesem Interview merkt ein Leser / eine Leserin an, dass Menschen wie Fuest die falschen seien, die man fragen müsse, was Populismus sei. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.