Kein Personal: Mindestlohn wird immer seltener kontrolliert
20. März 2017 | Markus Krüsemann
Planungsversagen oder schlicht Desinteresse? Für die Kontrollen zur Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns hat die Bundesregierung völlig unzureichende Vorkehrungen getroffen. Der Effekt: Zu wenig Personal sowie zu wenig und zurückgehende Prüfungen. So kann der Mindestlohn auch weiterhin viel zu leicht umgangen werden.
“Wenn ein Mindestlohn gilt, dann muss er auch kontrolliert werden”. So äußerte sich Claudia Weinkopf 2015 in einem Interview zu den ersten Erfahrungen mit dem Mindestlohn in Deutschland. Es dürfte wohl unmittelbar einleuchten, dass ein Gesetz, das Betriebe zu einer Mindestentlohnung verpflichtet, nur dann greift, wenn es in der Praxis auch durchgesetzt wird, der Glaube an das selbstorganisierte Wohlverhalten von Unternehmen reicht da nicht aus. Rechtspflege statt Compliance, so könnte man das Prinzip auch zuspitzen.
Aber die stellvertretende geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) verweist noch auf eine weitere Dimension wirksamer Kontrollen bei der Entlohnung: Laut Weinkopf belegten die Erfahrungen mit Mindestlöhnen im In- und Ausland, dass Unternehmen ihren Frieden mit dem Mindestlohn schließen, wenn sie sicher sein können, dass sich auch die Konkurrenz daran hält. Vertrauen allein reicht da nicht aus. Sich auf die Einhaltung des Mindestlohns verlassen zu können, heißt nicht nur, sich selbst an die Regeln zu halten, sondern auch darauf vertrauen zu dürfen, dass Verstöße von Mitkonkurrenten entdeckt und geahndet werden.
Mehrarbeit für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ohne Personalplus
Die Kontrolle zur Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns obliegt der beim Zoll angesiedelten Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS). Sie kontrollierte in den Vorjahren bereits die Einhaltung der branchenspezifische Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) sowie der Lohnuntergrenze in der Leiharbeit, ist also für die Aufgabe bestens gerüstet - sollte man meinen. Die mit der Aufgabenerweiterung verbundene Mehrarbeit muss natürlich durch eine Personalaufstockung aufgefangen werden - sollte man meinen.
Sicher dürfte auch der Bundesregierung schon im Vorfeld der Einführung des Mindestlohns klar gewesen sein, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit mit der zusätzlichen Aufgabe überfordert sein dürfte, sollte sie nicht personell und finanziell besser ausgestattet werden. Entsprechende Vorbereitungen wurden aber offensichtlich viel zu spät getroffen, denn erst mit der Einführung des Mindestlohns Anfang 2015 wurde eine personelle Aufstockung der FKS angekündigt.
Zur Verstärkung der Mindestlohnkontrollen hat die Zollverwaltung dann im Haushalt 2015 insgesamt 1.600 zusätzliche Planstellen zuerkannt bekommen. So weit, so gut. Dumm nur, dass für die Jahre 2015 und 2016 gar keine verbindlichen Planstellenzuführungen vorgesehen waren. Die mindestlohnbedingten neuen Planstellen sollen erst in den Haushaltsjahren ab 2017 nach und nach zur Verfügung gestellt werden. Nach Angaben der Bundesregierung wird die Sollstärke des für die Umsetzung der Kontrolle des Mindestlohngesetzes erforderlichen Personals voraussichtlich erst im Jahr 2019 erreicht sein.
Bis dahin muss die FKS ihre Kontrollfunktionen mit einer viel zu dürftigen Personalausstattung ausüben. In den ersten zwei Jahren nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns musste sie mit denselben 6.865 Planstellen auskommen wie im Jahr 2014. Da aber nicht alle Planstellen besetzt werden konnten, lag der tatsächliche Besetzungsstand Anfang 2015 nur bei 5.955 Planstellen/Stellen. Im Januar 2016 waren es dann 6.067, im Januar 2017 dann rund rund 6.268 Planstellen/Stellen. Erst im Herbst 2017 wird es zu einer spürbaren Aufstockung kommen, da dann die ersten seit 2015 zusätzlich ausgebildeten Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen.
Nicht nur kein zusätzliches, sondern weniger Personal
Von der Summe der tatsächlich verfügbaren Kontrolleure sind allerdings noch jene Beschäftigten abzuziehen, die für drei bis zwölf Monate an andere Behörden außerhalb der Zollverwaltung abgeordnet worden sind. Im Jahr 2015 belief sich ihre Zahl auf 271 Personen. Im März 2016 waren noch insgesamt 257 Beschäftigte der FKS an andere Behörden abgeordnet, 154 von ihnen halfen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus.
Auf den Umstand, dass der chronisch unterbesetzte Zoll wegen der Flüchtlingsbetreuung ausgerechnet aus den Reihen der eh schon zu wenigen Mindestlohnkontrolleure Personal abordnet, hat Stefan Sell bereits im September 2015 verwiesen und zugleich die Effektivität der Mindestlohnkontrollen angesichts der dünnen Personaldecke generell in Frage gestellt.
Zu wenig und immer weniger Kontrollen
Wie es um diese Effektivität bestellt ist, lässt sich sehr schön aus einer kürzlich veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der grünen Parlamentsfraktion entnehmen. Wie schon ein Jahr zuvor hatten die Grünen erneut wissen wollen, wie viele Betriebe die FKS hinsichtlich der Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns bzw. der diversen branchenspezifisch gültigen Mindestlöhne überprüft hat. Hier das Ergebnis:
Prüfungen zur Einhaltung von Mindestlohnpflichten in ausgewählten Branchen
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2014 |
2015 |
2016 |
von der FKS insges. überprüfte Arbeitgeber
|
63.014
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43.637
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40.374
|
Bauhaupt- und Baunebengewerbe
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30.729 |
16.681 |
13.473 |
Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe
|
-- |
7.287 |
6.030 |
Speditions-, Transport-, Logistikgewerbe
|
-- |
3.400 |
4.635 |
Personenbeförderungsgewerbe
|
-- |
1.259 |
1.356 |
Gebäudereinigung
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2.232 |
1.370 |
1.082 |
Sicherheitsdienstleistungen
|
|
530 |
572 |
Pflegebranche
|
775 |
491 |
407 |
Fleischwirtschaft
|
578 |
445 |
278 |
Schaustellergewerbe
|
-- |
208 |
210 |
In der Zusammenschau der Überprüfung aller gültigen Lohnuntergrenzen sind die Angaben mehr als ernüchternd. So ist die Zahl der kontrollierten Arbeitgeber schon im ersten Jahr nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns drastisch zurückgegangen. Während 2014 noch gut 63.000 Prüfungen stattgefunden hatten, waren es 2015 (bei eigentlich erweitertem Kontrollbedarf!) nur noch 43.600. 2016 wurden sogar noch weniger (-3.000) Arbeitgeber geprüft.
Auffällig ist vor allem das Minus im Baugewerbe. Gegenüber 2014 schrumpften die Kontrollen im Jahr 2016 um satte 56 Prozent. Das für Niedriglöhne bekannte und für die Umgehung von Vorschriften anfällige Gaststätten- und Beherbungsgewerbe wurde 2015 schon in völlig unzureichendem Umfang überprüft. 2016 waren es sogar nur noch 6.000 Kontrollen, ein Tropfen auf dem heißen Stein. 278 Kontrollen in der für Lohndumping und Mindestlohnbetrügereien bekannten Fleischbranche kann man da nur noch als Witz bezeichnen.
Den Kontrolleuren kann man sicher keinen Vorwurf machen, sie sind mit den an sie herangetragenen Aufgaben einfach überfordert. Es sind die aus Absicht oder Unfähigkeit unzureichenden und mit großer Verspätung umgesetzten Vorkehrungen auf Regierungsebene, die dafür verantwortlich sind, dass der Mindestlohn auch weiterhin viel zu leicht umgangen werden kann.
Markus Krüsemann ist Soziologe und Mitarbeiter am Göttinger Institut für Regionalforschung. Unter www.miese-jobs.de betreibt er ein Informationsportal zu atypischen und prekären Beschäftigungsformen.