Arbeitgeber: "Sachgrundlose Befristungen sind unverzichtbar" – wirklich?
21. September 2017 | Patrick Schreiner
In den Wahlprogrammen mehrerer Parteien werden sachgrundlose Befristungen als Problem beschrieben, das man angehen müsse - das sieht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anders. Sie hat vor einiger Zeit ein Argumentationspapier vorgelegt, in dem sie sich nachdrücklich dafür ausspricht, Arbeitsverträge sachgrundlos befristen zu können. Die darin vorgetragenen Gründe allerdings überzeugen nicht.
Dass Arbeitgeber ein Interesse an möglichst flexiblen Arbeitsverhältnissen haben, überrascht nicht. Dass sie mit entsprechenden politischen Forderungen unterwegs sind, auch nicht. Ihr jüngst vorgelegtes Papier „Sachgrundlose Befristungen sind unverzichtbar“ fasst die wichtigsten Argumente zusammen, mit denen die Arbeitgeberseite ihre Position unterstreichen möchte.
1. Die BDA sagt, dass Befristungen "in erheblichem Maße zur Beschäftigung" beitragen. Diese Argumentation ist schon insofern fragwürdig, als die BDA im gleichen Papier zugleich versucht, den zahlenmäßigen Umfang von Befristungen herunterzuspielen – sie an anderer Stelle von einem "erheblichen Maß" also gar nicht mehr sprechen möchte. Diese Argumentation ist aber auch aus einem anderen Grund fragwürdig: Es erschließt sich nicht, weshalb Befristungen zur Schaffung von Arbeit beitragen sollten. Wahrscheinlicher ist vielmehr ein umgekehrter Zusammenhang: Arbeitsmarktflexibilität (etwa durch Befristungen) hat unmittelbar negative ökonomische Konsequenzen. Der niederländische Ökonom Alfred Kleinknecht beschrieb diese vor einigen Monaten in einem Interview auf annotazioni.de wie folgt: „Mehr Personalwechsel hat beträchtliche Nachteile: Betriebliche Weiterbildung lohnt sich weniger; und Vertrauen und Loyalität entwickeln sich nur in längerfristigen Arbeitsbeziehungen. Bei geringerer Loyalität fließen Betriebsgeheimnisse und technologische Kenntnisse leichter zu Konkurrenten ab. Das probiert man dann durch mehr Kontrolle wieder aufzufangen. Betriebe in flexiblen ‚hire & fire‘-Arbeitsmärkten wie etwa in den USA haben gut doppelt so dicke Managementbürokratien, verglichen mit dem alten Europa. Das treibt nicht nur die Kosten in die Höhe; es ist auch ein Ärgernis für kreative Köpfe und behindert die Innovation.“ Weniger Weiterbildung, weniger Innovation, weniger gegenseitiges Vertrauen – warum das zu mehr Beschäftigung beitragen soll, bleibt in der Tat das Geheimnis der BDA.
2. Möglicherweise meint die BDA mit dem genannten Zitat aber auch lediglich, dass Befristungen zum Entstehen bestimmter Beschäftigungsverhältnisse beitragen. In diesem Sinne können mehrere Zeilen des Papiers verstanden werden, etwa wenn von einem "Einstieg oder" einem "Wiedereinstieg" in das Arbeitsleben die Rede ist. Tatsächlich führt die BDA in vergleichsweise großem Umfang auch Zahlen dafür an, dass befristet Beschäftigte anschließend im Betrieb bleiben ("fast drei Viertel") und sogar eine unbefristete Stelle erhalten ("40%"). Nun würde eine solche einzelwirtschaftliche Argumentation allerdings erstens nicht die (doch eher gesamtwirtschaftlich zu verstehende) Formulierung begründen können, dass Befristungen zur Beschäftigung beitrügen. Zweitens bedeuten diese Zahlen auch nicht, dass die Arbeitsplätze nicht auch besetzt worden wären, wenn die Möglichkeit der Befristung nicht bestanden hätte. Und drittens legen diese Zahlen eher die Vermutung nahe, dass Befristungen oft als Möglichkeit einer zusätzlichen/verlängerten Probezeit genutzt werden. Vor diesem Hintergrund kann es auch nicht überraschen (und ist es nicht positiv zu werten), dass "ein höherer Anteil sachgrundloser Befristungen in einem Betrieb mit einer höheren Übernahmequote einhergeht".
3. Die BDA argumentiert, dass der Anteil von Befristungen an allen Beschäftigungsverhältnissen seit einigen Jahren wieder zurückgeht. Dies ist richtig und kann angesichts der guten Lage am Arbeitsmarkt nicht überraschen: Viele Beschäftigte haben es schlicht nicht mehr nötig, sich auf Befristungen (oder andere Formen atypischer Beschäftigung) einzulassen. Dennoch fällt auf, dass die Arbeitgeberseite bei diesem Thema stets Zahlenreihen präsentiert, die Mitte der 2000er Jahre beginnen (hier: 2005). Dieser Zeitpunkt ist wohl bewusst gewählt: Immerhin lag der Höhepunkt des Anteils befristeter Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung in etwa im Zeitraum zwischen 2005 und 2011 (variiert je nach Altersgruppe). Nimmt man hingegen die Entwicklung seit den 1990er Jahren in den Blick, dann zeigt sich, dass der Anteil von Befristungen an allen Beschäftigungsverhältnissen noch immer über dem Niveau der frühen und mittleren 1990er Jahre liegt. Bei den Beschäftigten insgesamt zwar nur leicht, bei jungen Beschäftigten (15-34 Jahre) allerdings deutlich. (Beschäftigte ab 55 sind heute allerdings sogar etwas seltener befristet beschäftigt als in den 1990ern.)
4. In diesem Zusammenhang kritisiert die BDA, dass die OECD mit etwa 50 Prozent einen zu hohen Wert für Befristungen bei Unter-25-Jährigen angebe, weil diese auch Auszubildende einbeziehe. Der tatsächliche Wert laut IAB betrage nur 21 Prozent. Richtig ist an dieser Kritik sicherlich, dass Auszubildende aus systematischen Gründen nicht als befristet Beschäftigte gewertet werden sollten (was allerdings nichts daran ändert, dass die unbefristete Übernahme bei Bestehen der Prüfung der Normalfall sein sollte.) Doch sind gewiss selbst 21 Prozent Befristungen zu viel, vergleicht man diesen Wert mit der Befristungsquote über alle Altersgruppen (7,8 Prozent). Hinzu kommt, dass das WSI auf der Basis von Destatis-Daten höhere Werte als das IAB nennt, gleichfalls ohne Auszubildende: 41,3 Prozent bei den Unter-20-Jährigen und 27,4 Prozent bei den 20-bis-25-Jährigen.
5. Die BDA argumentiert mit IAB-Zahlen, dass der Befristungsanteil im Öffentlichen Dienst mit 10,4 Prozent höher liege als in der Privatwirtschaft mit 6,7 Prozent. Die Aussage als solche ist zunächst einmal richtig. Die BDA verschweigt allerdings, dass dies im Öffentlichen Dienst im Wesentlichen auf Hochschulen und Wissenschaft zurückzuführen ist, wo die Befristungsquote 43,6 Prozent beträgt. Blendet man diesen Bereich aus, so ergibt sich im sonstigen öffentlichen Dienst ein Befristungsanteil von 7,4 Prozent (Zahlen aus 2014). Das ist natürlich immer noch zu viel. Aber klar ist auch: Das Befristungsunwesen muss überall bekämpft werden – in der Privatwirtschaft, im Öffentlichen Dienst und in der Wissenschaft. Und sachgrundlose Befristungen sind nicht in einem Bereich deshalb unproblematisch, weil es in einem anderen Bereich mehr von ihnen gibt.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.