Dringender Korrekturbedarf: Ungleiche Verteilung und unterfinanzierte öffentliche Haushalte
18. Februar 2013 | Kai Eicker-Wolf, Patrick Schreiner
Zwei Themen sind Dauerbrenner in den wirtschaftspolitischen Debatten der vergangenen Jahre: Die finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte (einschließlich der Staatsverschuldung) auf der einen und die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen auf der anderen Seite. Zwischen beiden besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.
Verteilungspolitischer Trend: Zunehmende Ungleichverteilung
Nicht nur in Deutschland hat die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen stark zugenommen. So sank der Anteil der Löhne an allen Einkommen seit der Jahrtausendwende deutlich, während sich spiegelbildlich die Gewinneinkommen erhöhten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung betitelte Ende 2012 einen Aufsatz zur Entwicklung der Löhne mit der bedenklichen Überschrift: Reallöhne 2000-2010: Ein Jahrzehnt ohne Zuwachs. Für die äußerst schlechte Lohnentwicklung ist unter anderem ein drastischer Anstieg des Niedriglohnsektors verantwortlich. In diesem Lohnsegment arbeitet mittlerweile mehr als jeder fünfte Beschäftigte – Frauen sind besonders betroffen.
Diese Entwicklung erklärt die seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland bestehende Schwäche des privaten Konsums. Wenn die Löhne stagnieren oder sogar sinken, und wenn die Einkommensverteilung sich zu Gunsten von hohen Einkommen verschiebt, dann können Menschen mit niedrigen oder durchschnittlichen Einkommen nur auf zwei Weisen reagieren. Sie können sich entweder mehr und mehr verschulden, um ihren Konsum aufrecht zu erhalten. Dies war aufgrund dortiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen beispielsweise in den USA oder in Spanien überwiegend der Fall. Oder aber sie können ihre Konsumausgaben senken, wie es in Deutschland überwiegend praktiziert wurde. Die aktuelle Finanzkrise hat gezeigt, wie schädlich beide Varianten sind – und damit, wie schädlich soziale Ungleichheit generell ist.
Verteilung des Vermögens in Deutschland (Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung.)
Weit in den Schatten gestellt wird die immer ungleichere Entwicklung bei den Einkommen von der Polarisierung bei der Vermögensverteilung (vgl. die Abbildung). Die ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung waren im Jahr 2007 sogar verschuldet. Rund zwei Drittel aller Erwachsenen weisen kein oder nur ein sehr geringes individuelles Nettovermögen auf. Auf der anderen Seite verfügen die reichsten 10 Prozent der Deutschen über mehr als 60 Prozent des Gesamtvermögens, und alleine das reichste 1 Prozent besitzt knapp 23 Prozent der privaten Vermögen. Im Jahr 2007 betrug dabei das Nettovermögen aller Privathaushalte insgesamt 6,6 Billionen Euro, was damals einem Anstieg um 900 Mrd. Euro entsprach. Zwischenzeitlich dürften die privaten Nettovermögen nochmals deutlich auf heute etwa 7,5 Billionen Euro angestiegen sein. Gesicherte Zahlen werden wohl im kommenden Jahr veröffentlicht.
Persönlicher Reichtum wird einerseits durch Erbschaft oder Schenkung von Generation zu Generation weitergegeben, andererseits aber besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Höhe von Einkommen und der Höhe von Vermögen: Wer viel verdient, verfügt meist auch über ein hohes Vermögen. Dabei beeinflussen sich Einkommenssteigerungen und Vermögenszuwächse gegenseitig – hohe Einkommen ermöglichen über Ersparnisse eine entsprechende Vermögensbildung, und steigende Vermögen werfen wachsende Zinserträge ab.
Finanzpolitischer Trend: Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte
Die Steuersenkungen der vergangenen Jahre, die insbesondere reichen Privathaushalten und dem Unternehmenssektor zu Gute gekommen sind, haben die Tendenz zu einer immer ungleicheren Verteilung zusätzlich verstärkt – und die öffentlichen Kassen geleert. Die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen sind heute strukturell unterfinanziert: Selbst in konjunkturell guten Jahren weisen sie keine Überschüsse auf, wichtige Ausgaben etwa für öffentliche Infrastruktur, für Bildung und Soziales oder für Erneuerbare Energien können nur unzureichend getätigt werden. Würde aktuell noch das Steuerrecht des Jahres 1998 gelten, dann hätten die öffentlichen Haushalte allein 2011 rund 50 Mrd. Euro mehr Einnahmen gehabt.
Im internationalen Vergleich fällt der Anteil vermögensbezogener Steuern (Erbschaftsteuer, Vermögensteuer usw.) am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland besonders niedrig aus: Er ist mit unter einem Prozent nur etwa halb so hoch wie der Durchschnitt der OECD-Länder. Die Vermögensteuer wird in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre gar nicht mehr erhoben. Die Erbschaftsteuer bringt jährlich nur etwa vier Mrd. Euro, sie gehört damit zu den Steuern mit eher geringem Aufkommen. Dies resultiert daraus, dass reiche Erben dank niedriger Steuersätze nur mäßig zur Kasse gebeten werden.
Dabei wäre eine deutlich höhere Besteuerung von Erbschaften und eine allgemeine Vermögensteuer nicht nur möglich, sondern gemäß dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit auch folgerichtig: Erbschaften und geerbtes Vermögen stellen für die Begünstigten ein vollkommen leistungsloses Einkommen dar. Reiche Erben haben aufgrund ihrer sozialen Herkunft in der Regel sowieso schon bessere Bildungs- und Verdienstmöglichkeiten.
Was tun?
Leere öffentliche Kassen und die zunehmende Konzentration von Reichtum sind zwei Seiten einer Medaille. Die verschiedenen deutschen Bundesregierungen der letzten Jahre haben es versäumt, die zunehmende Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverteilung zu korrigieren. Ganz im Gegenteil haben sie den Sozialstaat ebenso geschleift wie die Rechte der Beschäftigten. Durch Steuersenkungen insbesondere für reiche Haushalte, für hohe Einkommen und für Unternehmensgewinne haben sie die Polarisierung von Einkommen und Vermögen weiter vorangetrieben.
Das Ergebnis ist eine verteilungspolitische Schieflage, verbunden mit fehlenden Mitteln für öffentliche Ausgaben und mit einer steigenden Staatsverschuldung. Hier schließt sich der Kreis: In einer modernen Volkswirtschaft steht jedem Euro Vermögen notwendig genau ein Euro Schuld gegenüber. Den Anstieg der Staatsverschuldung kann daher nicht umkehren, wer den Anstieg von Vermögen nicht in den Blick nehmen möchte. Daher wird, wer die öffentliche Verschuldung reduzieren möchte, an einer unbequemen Wahrheit nicht vorbeikommen: Jeder Abbau der Staatsverschuldung geht notwendig und zwingend mit einem Abbau von Privatvermögen einher. Die politische Frage ist allerdings, ob Privatvermögen dadurch abgebaut wird, dass man durchschnittliche Einkommen stärker belastet und ärmere Menschen noch mehr in Verschuldung stürzt – oder indem man endlich hohe Einkommen und Vermögen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzieht.
Um die aufgezeigte Entwicklung zu korrigieren, bedarf es daher unter anderem einer Steuerpolitik, die wieder zum Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zurückkehrt. Von zentraler Bedeutung wäre in diesem Zusammenhang eine Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften. Schon eine moderate Vermögensteuer mit ausreichenden Freibeträgen und einem Steuersatz von einem Prozent brächte Einnahmen von jährlich rund 20 Mrd. Euro. Wenn zudem besonders hohe Erbschaften stärker besteuert würden, könnten weitere 6 Mrd. Euro für die öffentliche Hand mobilisiert werden.
Angesichts der gewaltigen Vermögenskonzentration wäre zudem eine Vermögensabgabe sinnvoll, die besonders hohe Reichtümer einmalig mit einer Abgabe belegt. Dies würde den öffentlichen Haushalten einen großen Betrag zuführen, um die Folgeschäden der Krise zu beseitigen.
Der Text erschien in einer überarbeiteten Fassung zuerst in E&W, Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Kai Eicker-Wolf ist Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschaftssekretär.
Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Publizist aus Bielefeld/Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Wirtschaftspolitik, Verteilung, Neoliberalismus und Politische Theorie.